Die Überzeugung, dass osteuropäische Menschen eine genetische Veranlagung zu Prostitution und Autodiebstehlen haben, scheint hierzulande zum unverbrüchlichen Erfahrungsschatz nicht nur der niemals aussterbenden »Schlesien bleibt unser«-Fraktion zu gehören. Es ist deshalb eigentlich keine schlechte Idee des Düsseldorfer Schauspielhauses, sich unter dem Titel »Das Neue Europa – Warten auf die Barbaren?« mal ein bisschen mit den Ländern bekannt zu machen, die im sozialen Sperrgebiet Europas liegen. Ob solche Erkundungen als theatralische Grenzüberschreitungen möglich sind, durfte bereits nach der Uraufführung von Andrzej Stasiuks »Nacht« Anfang dieses Jahres bezweifelt werden. Nun, da auch noch Juri Andruchowytschs »Orpheus, Illegal« von Anna Badora auf die Bühne gebracht ist, bleibt zumindest die vorläufige Erkenntnis, dass im Osten an Dramatikern kein Überangebot zu herrschen scheint. Oder Entdeckerunlust in der Dramaturgie. Sonst hätte man den Ukrainer, der seit dem letzten Jahr auch hier als großer Romancier und luzider Essayist bekannt ist, nicht für einen Dramatiker halten müssen. Ein solcher ist er in »Orpheus, Illegal« mitnichten: Zwar hebt der illegale Sänger Stanislaw Perfetzki, der uns als Dichter und Kultfigur der orangenen Revolution vorgestellt wird, gleich zu Beginn mühelos im westukrainischen Lemberg ab, nimmt nach einem nächtlichen Flug über Europa kurz an einem Münchner Stammtisch Platz, um dann gleich weiter nach Venedig geschickt zu werden. An die irrwitzige Schwerelosigkeit von Andruchowytschs zu recht gefeierten Roman »Zwölf Ringe« reicht das szenisch mehr und mehr ausfransende Stück, angesiedelt irgendwo zwischen Politsatire und Gesellschaftsfarce, jedoch nicht annähernd heran. Die dramaturgische Haltlosigkeit findet ihre Vollendung aber erst in einer verschwenderisch dekorativen Inszenierung, die sich – von der großzügig gefluteten Bühne bis hin zu reichlich harmlosen Videoprojektionen – für keinen Effekt zu schade ist. (11. – 14.10.2005, Düsseldorfer Schauspielhaus) | ANK
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01. Okt. 2005