TEXT: ANDREAS WILINK
Der Stammbaum der Häuser Lancaster und York ist so verzweigt wie in der Genesis Adams Geschlechterturm hoch. Schwer genug, all die Heinrichs, Richards und Eduards auseinanderzuhalten. Da hilft es, die Vorgeschichte zu erzählen und die Wurzel der Rosenkriege auszugaben: ein Schlachten-Gemälde. Im Bochumer Schauspielhaus, das den lange versäumten Anschluss an eine bedeutende Shakespeare-Tradition versucht, will Roger Vontobel in fast vier Stunden zeigen, wie jemand zu dem wurde, der er ist. Auch ein Monster hat ein Vorleben: Richard der Dritte, der Freund und Feind, Mann, Frau und Kind, Brüder und Rivalen töten lässt, ist ein Kriegskind – Opfer, Zeuge, Mittäter. Alles in einem.
Auf einem Podest mit Thron sitzt ein kleiner König unter viel zu großer Krone und spielt mit dem Handy, bald abgelöst von seinem erwachsenen Ego, Heinrich VI., den Roland Riebeling dicklich, weich und zaudernd zeichnet. Drumher fläzen sich die Lords; Purpurmäntel liegen zerknüllt auf den Klappsitzen, die die Bestuhlung im Parkett wiederholen, um für den Betrachter die Bühne (auch mit Tütenlampen und brauner Holzverkleidung) als Abbild eigener Wirklichkeit zu spiegeln. Ausführlich werden die Querelen um Englands Reich verhandelt, unter Einschluss des gesamten Theaterraums und eifrigem Türenschlagen. Die Lancaster morden. Der York-Clan, der den Anfangsbuchstaben des Namens wie ein College-Abzeichen auf dem Sweater trägt und es sportlich nimmt, tut es auch, erfolgreicher. Denn alsbald herrscht »Eddie« (Felix Rech); er und die Brüder George (Florian Lange) und Richard, Herzog von Gloster, triumphieren. Sie kriegen sogar Fanpost.
Das Drama um Richard den Dritten beginnt beim zehnjährigen Thronjubiläum, das als spießiges Betriebsfest einer saturierten Nachkriegsgesellschaft schwofend begangen wird. Obgleich in den Fünfzigern beheimatet, tanzen sie zu den Bee Gees mit »Stayin’ Alive«, die Damen mit Perlenkette, die Kinder fein gemacht und Richard als Stimmungskanone. Paul Herwig spielt (ohne Buckel und Hinkefuß) einen alerten, schmierig charmanten, wendigen, gut konfektionierter Politprofi. Nicht viel anders, nur schlauer als der Rest. Nur in der Lancaster-Queen-Mom, die Jana Schulz zum fanatisch lodernden Tank Girl hochputscht, findet er seine Gegnerin. Wenn es zur Sache geht, klemmt er sich hinter die Drums für ein Trommelfeuer-Solo, das den Bürgerkrieg akustisch zur Session aufmischt. Überhaupt fährt Roger Vontobel effektvoll auf, drückt auf die Tube, powert aktionistisch und lässt das Ensemble schuften, was die versteckte Videokamera mit mordsmäßigen Großaufnahmen demonstriert. Gleichwohl hat man den Eindruck, das Dringliche, Hitzige, Coole und Energetische sei künstlich hergestellt. Wirkend wie der Prolog zur britischen Fernsehserie über »Die Tudors«, die historisch 50 Jahre später einsetzt.