TEXT: STEFANIE STADEL
Der kleine Kerl sitzt wohl schon ziemlich lange da oben auf dem Hochstuhl. Das Kinn auf die Faust gestützt, nutzlos ins Nichts stierend. Derweil Pinocchios Lügennase genügend Zeit fand, um diverse Ecken zu wachsen: Ein Stück geradeaus, dann rechts in die Wand hinein, aus der Wand hinaus und wieder zurück…. Er kann sich dabei kaum gerührt haben, sonst wäre es der dicken Spinne sicher nicht gelungen, sich an ihrem dünnen Faden so weit von der Nasenspitze abzuseilen.
Pinocchio ist nicht der einzige, der sich hier in abgeschlafftem Nichtstun ergeht. Lethargie überall. Wie eine Ätherwolke liegt sie über den Szenen, die Cosima von Bonin auf sechs gigantischen Tischen im großen Oberlichtsaal des Museum Ludwig angerichtet hat. Hier ein träger Hase, der tief entspannt vor dem »Petit Café« hängt und Siesta hält. Da eine bunt gemusterte Krake, die auf einer ebenso farbenfrohen Matratze alle Achte von sich streckt.
Während nebenan eine Art Karussell langsam seine Runden dreht – der einzige Passagier, ein schwarz-samtener Kuschelriese, kriegt davon allerdings nichts mehr mit. Ist er doch längst rücklings von der Sitzgelegenheit gekippt, verharrt nun wie besinnungslos auf dem Drehteller und hält uns seine Füße vor. »Sloth« hat von Bonin mit runden roten Lettern unter die Sohlen appliziert, als wolle sie unmissverständlich klar machen, was »faul« ist im Museum Ludwig.
Von Bonins Ausstellung in Köln ist die letzte einer vierteiligen Reihe. Rotterdam, Bristol und Genf hat die Künstlerin passiert, bevor sie in Köln einlief. Einiges verbindet sie mit dieser Stadt. Nicht nur, dass von Bonin seit 25 Jahren hier lebt. 1990 hatte sie ihren ersten Auftritt in der Galerie von Christian Nagel. 2004 kam dann die vielbeachtete Schau im Kölnischen Kunstverein. Nicht ohne Grund wählte sie also Köln für ihr großes Finale der »Lazy Susan Series«-Tour.
Der Titel des vierteiligen Großprojekts zitiert den englischen Namen eines automatischen Tabletts, das, ständig rotierend, die Speisen an der Tischgesellschaft vorüberziehen lässt. Genau wie die »träge Susanne« ihre Gerichte offeriert, serviert von Bonin dem Publikum ihre Werke, variiert dabei von einer Ausstellungsstation zur nächsten die Inszenierung und nimmt leichte Veränderungen im Angebot vor.
Mit rund 70 alten und neuen, eigenen und auch einige fremde Stücken stopft die 1962 in Mombasa, Kenia, geborene Künstlerin den Ausstellungssaal voll. Ein echtes Drunter und Drüber: Von der Empore aus gesehen, kommen die besagten Tische Bühnen gleich, auf denen von Bonin ihre Arrangements darbietet. Die Treppen hinab gestiegen, bewegt man sich unter den Tischplatten wie in einem Märchenwald zwischen meterhohen Beinen und bunten Stoffstelen, zwischen weichen weißen Riesenpilzen, verbogenen Straßenlaternen und plüschigen Muschel-tieren, die uns mit großen runden Augen aus dem Schlitz in der Schale entgegenglotzen. Berieselt wird man bei all dem durch elektronische Musik aus diversen Klangduschen.
Was das Allerlei zusammenhält, ist jener gemütliche Grundton, die drollige Note. Der Rest zerfasert in Spekulation. Denn was anfangs bloß einfach und offen, vielleicht kindlich verspielt erscheinen mag, erweist sich bald als wohlkalkuliertes Miteinander, das laut nach Deutung ruft. Was soll der hemmungslose Müßiggang in Zeiten des grassierenden Burnout-Syndroms? Ist von Bonins träger Kuschelzoo am Ende gar als Gegenmodell zur Turbogesellschaft gedacht? Oder nimmt die Künstlerin die schöne, reiche Glitzerwelt des Kunstbetriebs ins Visier – wo sich auf dem unermüdlich rotierenden Tablett bietet, was dem nicht immer geschmackssicheren und noch weniger qualitätsbewussten Konsumenten gefällt?
Auch von Bonin hat sich reichlich bedient. Längst nicht alles, was in Köln zu sehen, hören, lesen ist, stammt von der Künstlerin persönlich. Wie immer, betätigt sie sich auch als Kuratorin und bezieht allerhand Kollegen in das Spektakel ein. Der Soundtrack aus den Klangbrausen etwa stammt von dem Berliner Elektromusiker Moritz von Oswald.
Der in Köln lebende Schriftsteller Mark von Schlegell verfasste eine Erzählung, die von der Kölner Malerin Frances Scholz verfilmt wurde und in der Ausstellung zu sehen ist, zusammen mit alten Werken von Jacques Tati und George A. Romero. Selbst das passende Statement zum gattungsübergreifenden Teamwork ist entliehen: »Wir sind viele«. Diesmal zitiert von Bonin einen Songtitel ihrer Lieblingsband Tocotronic und provoziert mit ihrer ausgiebigen Netzwerkerei einen Schwall weiterer Mutmaßungen.
Möchte von Bonin möglicherweise die kunstmarktgerechte Forderung eindeutiger Autorschaft unterlaufen? Oder ist ihr interdisziplinärer Remix am Ende vielleicht gedacht als Kommentar auf das Internetzeitalter –nach dem Motto: Alles war schon da und ist verfügbar, man braucht es sich nur zu nehmen?
Lauter Fragen. Antworten gibt es leider keine – zumindest nicht von Bonin. Denn die Künstlerin und Teilnehmerin der Documenta 12 von 2007 begegnet dem wachsenden Interesse an ihrem Werk mit standhafter Schweigsamkeit. Sie gibt prinzipiell keine Interviews. Auch bei der Pressekonferenz zur Kölner Ausstellung hörte man nicht einen Satz aus dem Munde der Künstlerin, der zum besseren Verständnis der komplexen Arbeit hätte beitragen können.
Von Bonin lässt reden. Macht es wie all die anderen stummen Geschöpfe im Museum Ludwig, die sich dem Betrieb entziehen. Die in aller Ruhe der Nase beim Wachsen oder der Spinne beim Weben zuschauen. Sich ohne Alibi dem Nichtstun hingeben. Während Pressesprecher, Kuratoren, Museumsdirektoren noch von Bonins scheuem Wesen reden, das Versteckspiel der Künstlerin gar als Reaktion auf den Starkult im Kunstbetrieb zu erklären suchen, hat sich die Künstlerin längst davongemacht. Nach draußen, vielleicht um eine zu rauchen – inkognito natürlich.
Museum Ludwig, Köln; bis 13. Mai 2012; Tel. 0221/22126165. www.museum-ludwig.de