Neil Young, The Decemberists, Tindersticks, Iron & Wine – der Soundtrack, mit dem Jan Wilm seinen Textfluss verbunden hat, gibt die Stimmung vor. Schwer melancholisch angegraut, wie Schnee von letzter Woche. Wilm ist in seinem Roman »Winterjahrbuch« ein »fremder Gast unter Palmen«; ein planloser Philologe, der sein bisheriges Leben in Deutschland und eine verlorene Frau hinter sich lassen will und den es deshalb für ein fremdfinanziertes Forschungsjahr nach Los Angeles verschlägt. Ausgerechnet in Kalifornien, unter den »leeren Himmeln«, soll er den Nachlass des verschollenen Fotografen Gabriel Gordon Blackshaw sichten, der im Januar 1948, als die Pazifikküste erstmals für drei Tage mit einer dicken Schneeschicht bedeckt war, das verschneite Land mit seiner Kamera dokumentiert hat.
Voller Querverweise
Jan Wilm, 1983 geboren, ist Autor, Übersetzer und Kritiker, promovierte über J.M. Coetzee, über den er später ein Buch folgen ließ. Als Literaturwissenschaftler arbeitete er neben Frankfurt und Darmstadt auch am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Sein »Winterjahrbuch« ist ein formidabler, langer Gedankengang voller Querverweise in die Musik- und Literaturgeschichte – winterumwölkt, verlustreich, aufarbeitend mit gleichzeitiger Weltflucht. »Man sagt mir, es dauere ein Jahr, bis man einen Menschen vergessen hat. Einmal alle vier Jahreszeiten allein. Ich frage mich, sagen sie einem das als Hoffnung oder als Drohung? Vielleicht ist das bisschen Schnee, das ich mit Dir hatte, alles, was mir von dir bleibt.«
Jan Wilm: »Winterjahrbuch«, Schöffling & Co., Frankfurt am Main, 2019, Roman, 456 Seiten, 24 Euro
Lesung am 19. November 2019 im Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen