TEXT: GUIDO FISCHER
Gutmütig, mit sympathischem Lächeln schaut Emanuel Ax auf dem Cover seiner neuen Einspielung: im Anzug mit Krawatte, die auch auf dem Konzertpodium zu seinem Markenzeichen wurde. Im Zeitalter gestylter Klassik-Stars wirkt der Pianist eher wie ein Beamter und nicht wie einer der großen Musiker unserer Zeit. Aber Ax hat schon immer mehr Wert auf den Inhalt gelegt als auf extravagante Äußerlichkeiten. Das hört man auch den eingespielten »Eroica«-Variationen von Beethoven und Schumanns »Symphonischen Etüden« an. In entspannter Natürlichkeit meistert Ax die technisch höchsten Schwierigkeiten. Zugleich besitzt seine Gestaltungskunst eine bezwingend erzählerische Tiefe, die sich in seinem dynamisch weiten Ausdrucksspektrum von Pianissimo bis Fortissimo spiegelt. Wo andere bei Schumann schon mal wuchtig zulangen, um noch die Galerie zu beeindrucken, bleibt Ax ohne Mätzchen seiner ertragreichen Linie treu.
Seit fast 40 Jahren kann man sich auf das Qualitätsbewusstsein von Emanuel Ax verlassen. Gleichgültig, ob er klassisches Konzertrepertoire, Modernes von Henze, Penderecki und John Adams oder Kammermusik spielt. Trotzdem fällt das Echo über ihn in Teilen der Welt ziemlich unterschiedlich aus. In den USA, wo Ax seit 1961 lebt, wird er als einer der bedeutendsten Pianisten gefeiert. In seiner alten Heimat Europa genießt er zwar enormen Respekt. Dennoch besitzt er zumindest beim breiten Publikum nicht das Renommee der sich gleichfalls dem Klassik-Zirkus verweigernden Kollegen Maurizio Pollini oder Krystian Zimerman. Europas Spitzenorchestern und ihre namhaften Dirigenten wissen dafür desto mehr um die Klasse von Ax. Allein in der vergangenen Saison wurde er vom Königlichen Concertgebouw-Orchester Amsterdam, der London Philharmonic und dem Chamber Orchestra of Europe eingeladen. 2005 schon hatten die Berliner Philharmoniker und Simon Rattle ihren Stammgast zum »Pianist in Residence« erkoren.
Unter den europäischen Orchestern sind es die Berliner, mit denen Ax die vielleicht engste Freundschaft pflegt. Wenn er indes mit der New York Philharmonic musiziert, werden die Termine familiäre und heimatliche Veranstaltungen. Mit keinem anderen Orchester hat Ax so viele Konzerte gegeben. An den Pulten sitzen Musiker, die ihn schon 1977 bei seinem Debütkonzert begleitet haben. Den Konzertmeister des Orchesters kennt Ax noch von gemeinsamen Studienzeiten an der Juilliard School of Music. Glenn Dicterow erinnert sich, dass Ax schon damals jener überragende Teamplayer und Kammermusiker war, als den man ihn später in Aufnahmen etwa mit Cellist Yo-Yo Ma und dem Jahrhundertgeiger Isaac Stern kennenlernen konnte.
ER WAR EIN LANGSAMER SCHÜLER
Das Talent zum Klavierspiel hat der 1949 im ukrainischen Lemberg geborene Sohn polnischer Eltern ererbt. Der Vater war sein erster Klavierlehrer. Überhaupt galt Lemberg damals als Musikzentrum, aus dem Pianisten wie Moritz Rosenthal und Mieczysław Horszowski hervorgingen. Nachdem die Familie zunächst nach Warschau gezogen war, emigrierte sie nach Kanada, um sich 1961 dann in New York niederzulassen. Obwohl sich Ax als »ziemlich langsamen Schüler« bezeichnet, erspielte er sich bald erste Wettbewerbspreise. Mit dem Gewinn des Arthur Rubinstein-Wettbewerbs 1974 kam für ihn der Durchbruch. Drei Jahre später gab der 28-Jährige sein Debüt bei der New York Philharmonic mit Mozarts dämonischem Klavierkonzert d-Moll.
Nach nunmehr mehr als 100 gemeinsamen Konzerten und der Verleihung der philharmonischen Ehrenmitgliedschaft gastiert er als aktueller »Residenzler« der New Yorker nun zwei Mal in NRW. Auf früheren Tourneen gab es Klavierkonzerte von Beethoven und Brahms; jetzt steht Mozarts prachtvolles und brillantes C-Dur-Konzert KV 503 auf dem Programm. Mit ihm Mozart zu spielen, sei »eine wahre Freude und ein Privileg«, schwärmt Dirigent Alan Gilbert: Ax »besitzt nicht nur unglaubliche Leichtigkeit und Eleganz. Er inspiriert uns, die Musik ganz natürlich atmen zu lassen.« Nach Kurt Masur und Zubin Mehta ist Gilbert seit 2009 der dritte Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker, mit dem »Manny« Ax zu pianistisch geistigen Höhenflügen ansetzt.
Schon etwas länger als mit Gilbert musiziert Ax mit dem deutschen Violinexport-Wunder Frank Peter Zimmermann. Beide gaben 2007 ihre Duo-Premiere beim Klavier-Festival Ruhr. Die Fortsetzung der harmonischen Zweierbeziehung folgt erneut im Festival-Rahmen mit sämtlichen Violinsonaten von Johannes Brahms. Dass Zimmermann und Ax sich ideal verstehen, liegt auch an der Offenheit, mit der sie sich auf den Partner und seine Ideen einstellen. Wie Ax ist Zimmermann ein allürenfreier Künstler, der mit dem kommerziell medialen Rummel der Branche wenig anzufangen weiß. Seinen Weg hat der Duisburger dennoch gemacht. Längst ist er das, was er sich laut einer Anekdote mit sechs Jahren gewünscht und ins Schulheft geschrieben hat: »Ich will ein Weltgeiger werden«. Zimmermann spielt mit allen wichtigen Orchestern und gastiert bei der New York Philharmonic seit 1996 regelmäßig. Der diesjährige »Artist in Residence« Emanuel Ax tritt somit auf den überhaupt ersten New Yorker Residenzkünstler von 2011 – Frank Peter Zimmermann. Wenn das keine guten Vorzeichen sind.
Emanuel Ax, New York Philharmonic, Alan Gilbert: 8. Mai 2013 Philharmonie Essen, 9 Mai Konzerthaus Dortmund; Emanuel Ax, Frank Peter Zimmermann: 16. Mai Historische Stadthalle Wuppertal. www.klavierfestival.de