»Wir bauen zusammen ein Haus« – der Schriftzug auf dem ehemaligen Schauspielhaus in Wuppertal-Elberfeld versteht sich als Einladung: vom Tanztheater an die Bürger. Ein Haus, na ja, ein bisschen tief gestapelt ist das schon. Denn ein nationales choreografisches Zentrum mit internationaler Strahlkraft soll es werden: eine Herberge für das Erbe einer der bedeutendsten Choreografinnen der Tanzgeschichte, eine neue Heimat für ihr Ensemble, ein internationales Produktionszentrum für Künstler aus aller Welt und, als »Forum Wupperbogen«, ein Zukunftslabor für innovative Tanzformen. Bislang dümpelt das denkmalgeschützte Gebäude allerdings als Bauruine vor sich hin und ist Verwüstungen ausgesetzt. Immerhin nutzt es die weltberühmte Kompanie mittlerweile als Proberaum.
Damit die Wartezeit bis zur Einweihung des Pina Bausch Zentrums, voraussichtlich 2027, nicht zu lang wird, gehen Theaterleitung und Pina Bausch Foundation jetzt einen ersten Schritt auf die potenziellen Besucher zu. Mit bunten Bürger-Festivals unter dem Titel »under construction« sollen der Glaube an das visionäre Großprojekt – zu Beginn des neuen Jahres wird der Architektenwettbewerb ausgeschrieben – gestärkt und Berührungsängste genommen werden. »Das Pina Bausch Zentrum wird kein Kulturtempel, sondern ein öffentlicher Ort«, betont Salomon Bausch als Vorstand der Stiftung.
Der Sohn der Tanztheater-Weltautorität thront mit seinem künstlerischen Erbe nicht eben im Elfenbeinturm, sondern öffnet die Türen seines Archivs weit. »Jede Gruppe, die ein Werk tanzt, macht etwas mit dem Stück und erschließt ihm neue Dimensionen.« Außerdem bringe sie ein neues Publikum. Siehe »Kontakthof mit Damen und Herren ab 65« und »Kontakthof. Mit Teenagern ab 14«. Auch die Reaktionen des Publikums machten schon etwas mit einer Arbeit. Bausch befürwortet einen intensiven Austausch mit Künstlern, die er zu internationalen Projekten bitten möchte: »Damit da etwas wächst.« Gleichzeitig denkt er an Menschen, »die vielleicht nicht so laut sind und heute einen Bogen um das Theater machen.« Deshalb lädt er höchstpersönlich alle ein, Teil des Prozesses zu sein, also der Zukunft des Tanztheaters Pina Bausch.
Den Start des Festivalprogramms »under construction« verdrängt die Pandemie nun ins Netz verdrängt – inklusive der Premiere von »Das Stück mit dem Schiff«. Doch Marc Wagenbach, der für das Programm verantwortlich zeichnet, lässt es als Installation auf die Fassade des Schauspielhauses projizieren und gleichzeitig in die Welt streamen.
30 digitale Aktionen erforschen die Visionen, Wünsche und Erwartungen der Menschen in Verbindung mit dem neuen Haus. Im Programm finden sich künstlerische Angebote wie tägliche digitale Warm-Ups, Masterclasses, Intervention von Tänzern, Online-Workshops von Yoga über Gaga bis zu zeitgenössischem Tanz oder filmische Arbeiten. Genauso gibt es auch Familienangebote wie Glückskekse backen, Tanzfilme und Musik. Die Formate reichen von Podcasts, Panels und Diskussionen bis hin zu Außenprojektionen und Liveschaltungen. Unter den eingeladenen Künstlern sind Helena Waldmann, Robin Orlyn, Richard Siegal, Gintersdorfer/Klaßen und deufert & plischke.
Noch wird überlegt, ob die Online-Workshops und digitalen künstlerischen Aktionen der ersten Edition im nächsten Jahr analog wiederholt werden – in jedem Fall aber geht es weiter. Denn Kulturdezernent Matthias Nocke freut sich über ein jährliches Budget in Höhe von 630.000 Euro für die Vorbereitungsphase. »Das Projekt soll in 2021 mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten fortgeführt werden«, kündigt es Intendantin Bettina Wagner-Bergelt an.
Wer das illustre Haus einmal leitet, darüber wird derzeit hinter den Kulissen nachgedacht. Denn Wagner-Bergelt, obwohl leidenschaftlich bei der Arbeit, will ihren Vertrag nach Ablauf der Spielzeit nicht verlängern. Die 62-Jährige zieht es zurück nach München zu ihrer Familie. Die künstlerische Leitung von Zentrum und Tanztheater Wuppertal in Personalunion solle gleichzeitig auch Choreograf sein. »Jemand mit Demut und Respekt vor dem Werk, möglichst zwecks eines gegenseitigen Befruchtens.«