Wie führt man ein Interview in Zeiten Künstlicher Intelligenz? Indem man ChatGPT einfach miteinbezieht. Die Idee dazu kam von Georg Trogemann, der sich als Informatiker an der Kölner Kunsthochschule für Medien schon lange mit den Chancen und Risiken der KI beschäftigt. Und der die Fragen von kultur.west natürlich selbst beantwortet hat – zusätzlich aber auch den brandaktuellen Chatbot GPT-4 zu Rate zog. Das Ergebnis ist ein ungewöhnliches Gespräch zu dritt. Zwischen zwei Menschen und mit einem Chatbot – über die Folgen der KI für Kunst und Kultur.
kultur.west: GPT-4, seitdem Chatbots für die Öffentlichkeit frei zugänglich sind, hat das Thema Künstliche Intelligenz in den Medien Hochkonjunktur. Viele reden von KI, haben aber nur diffuse Vorstellungen, was sich dahinter verbirgt. Gibt es eine Definition – am besten eine, die sich auch ohne Programmierkenntnisse verstehen lässt?
GPT-4: Künstliche Intelligenz ist ein Bereich der Informatik, der sich darauf konzentriert, Maschinen und Software dazu zu bringen, intelligentes Verhalten zu imitieren. Mit »intelligentem Verhalten« ist gemeint, dass sie Aufgaben erledigen können, die normalerweise menschliches Denkvermögen erfordern – beispielsweise das Lernen aus Erfahrung, das Verstehen von Sprache, das Lösen von Problemen und sogar die Schaffung künstlerischer Werke. Einige KI-Systeme arbeiten nach vorprogrammierten Regeln, während andere, wie maschinelles Lernen und insbesondere tiefe Lernsysteme, aus Daten lernen. Bei diesen Systemen wird eine große Menge an Daten durch das System geführt, das Muster und Zusammenhänge darin findet und daraus Regeln ableitet, um Vorhersagen zu treffen oder Entscheidungen zu treffen. Das ist vergleichbar damit, wie ein Mensch Erfahrungen sammelt und daraus lernt. – Es ist auch wichtig zu erwähnen, dass KI, obwohl sie menschliche Fähigkeiten imitieren kann, kein Bewusstsein oder echte Emotionen hat. Sie folgt Algorithmen und lernt aus Daten, hat aber kein subjektives Erleben.
TROGEMANN: Die Definition, die GPT-4 liefert, enthält die wesentlichen Punkte. Genau das können aktuelle KIs sehr gut. Sie geben Standardvorstellungen, die sie im Trainingsmaterial gesehen haben, in sprachlich variierter Form wieder. Auch bei mehrfacher Eingabe und leichter Variation der Frage werden die zentralen Punkte immer wieder auftauchen. Eine besonders originelle Antwort sollte man nicht erwarten. Persönlich fände ich den Hinweis wichtig, dass sich durch die KI-Forschungen der zurückliegenden 70 Jahre unsere ursprünglichen Vorstellungen, was Intelligenz und menschliche kognitive Fähigkeiten ausmacht, stark verändert haben. Während zu Beginn Logik, Abstraktion und Rationalität dominant waren, spielen heute Begriffe wie Körperlichkeit, Kontext, Intention und subjektive Erfahrung eine viel größere Rolle.
kultur.west: Wie leistungsfähig ist ChatGPT und vergleichbarer Werkzeuge, was die Qualität der Textproduktion angeht? Sind die meisten Texte inhaltlich und stilistisch auf dem Niveau von Fachbeiträgen, die Autor*innen verfasst haben? Oder übersteigen sie dieses Niveau in Einzelfällen sogar?
GPT-4: Künstliche Intelligenz und speziell Modelle wie ChatGPT haben enorme Fortschritte gemacht, wenn es um die Produktion von Text geht. Diese Systeme können recht komplexe Aufgaben bewältigen, darunter das Verstehen von Anfragen, das Geben von detaillierten Antworten und sogar das Schreiben von kreativen Texten wie Geschichten oder Gedichte. Allerdings haben diese Systeme auch ihre Grenzen. Während sie in der Lage sind, Informationen zu reproduzieren, die sie während ihrer Trainingsphase gelernt haben, können sie nicht über ihr Training hinaus lernen oder aktuelle Informationen, die nach ihrem letzten Update veröffentlicht wurden, integrieren. Zudem muss betont werden, dass KI-Modelle nicht kreativ sind im menschlichen Sinne. Sie generieren Inhalte, indem sie Muster in den Daten nachahmen, die sie während des Trainings gesehen haben. Sie führen kein originelles Denken oder Forschung durch, und sie verstehen die Texte, die sie generieren, nicht auf die gleiche Weise, wie Menschen das tun. Daher können ihnen Fehler unterlaufen, die ein menschlicher Autor wahrscheinlich vermeiden würde. KI kann ein leistungsfähiges Werkzeug sein, aber sie ersetzt nicht die tiefgreifende Kenntnis, die Erfahrung und das Urteilsvermögen eines menschlichen Autors.
TROGEMANN: Die Entwicklungen der KI verlaufen im Moment viel zu dynamisch, um abschließende Bewertungen abzugeben. Das neueste Modell in der GPT-Familie ist GPT-4. Mit jeder neuen Version, angefangen mit GPT-1, -2 und -3, über ChatGPT (= GPT-3.5) und nun GPT-4 wurden enorme Leistungssprünge vollzogen. Während ChatGPT im Februar 2023 noch krachend durch das bayrische Abitur fiel, hat GPT-4 das gleiche Abitur Anfang Juni 2023 mit durchweg guten Leistungen bestanden. Und wir wissen nicht, was GPT-5, -6 oder -7 leisten werden. Obwohl die Qualität der Texte mittlerweile sehr hoch ist, erwarte ich auch in Zukunft nicht, dass GPT-basierte-Sprachmodelle wirklich persönliche Texte verfassen oder eigenständig neue Forschungsergebnisse produzieren und diese in einem Fachartikel beschreiben, da sie kein menschliches Textverständnis haben, sondern Muster analysieren, reproduzieren und rekombinieren. Sie sind damit Klischee-Verstärker, die Strukturen und Stereotypen, die sie oft gesehen haben, wiederholen und damit weiter vertiefen. Wenn also GPT-4 problemlos das deutsche Abitur besteht, sollten wir uns umgekehrt fragen, ob unsere Schulen die richtigen Inhalte unterrichten und prüfen.
kultur.west: In Ihrer aktuellen Vorlesung »Other Minds« geht es um Geschichte und Theorie der Künstlichen Intelligenzen. Seit wann befassen sich die Menschen mit dem Phänomen einer Intelligenz, die außerhalb ihrer selbst angesiedelt ist? Wie weit also reicht die KI-Geschichte zurück?
TROGEMANN: Natürlich ist die Fixierung auf einen Anfangspunkt immer auch eine Setzung. Als Gründungstermin des akademischen Fachgebiets Künstliche Intelligenz gilt die Dartmouth-Konferenz im Sommer 1956. Doch die Vorgeschichte der KI setzt sehr viel früher ein. In der Vorlesung beginnt unsere Ideengeschichte der KI mit den Automaten des Heron von Alexandria, der bereits im 1. Jahrhundert nach Christus, also vor rund 2000 Jahren, versucht hat, mechanische und pneumatische Apparaturen zum Leben zu erwecken. Aber zu dieser Vorgeschichte gehört auch das Maschinenverständnis der jüngeren Neuzeit, etwa Julien Offray de la Mettries Buch »L’Homme Machine« aus dem Jahr 1748 oder die Arbeiten des Engländers Charles Babbage im 19. Jahrhundert. Ein Meilenstein für die Entwicklung Neuronaler Netze, dem gegenwärtig dominanten KI-Modell, war die Publikation »A Logical Calculus of the Ideas Immanent in Nervous Actvity« von Warren S. McCulloch und Walter Pitts aus dem Jahr 1943. Die Arbeit zeigte, wie biologische Neuronen des Gehirns auf einfache Weise mathematisch-logisch modelliert werden können. Die Realisierung dieser Modelle als elektronische Schaltungen war ein weiterer Schritt in Richtung »elektronischer Gehirne«.
kultur.west: Bei einem KI-Symposium, das kürzlich in Leipzig stattfand, hieß es in einem Fazit der beteiligten Expert*innen: »Die Kunst bleibt unabhängig und frei. KI-basierte Software kann als weiteres, sehr effektives Werkzeug für Künstlerinnen und Künstler dienen, sie wird jedoch Künstler und Autoren – die menschliche Kreativität, Authentizität und Originalität – nicht ersetzen.« Ist menschliche Kreativität vorerst nicht zu toppen?
GPT-4: Künstliche Intelligenz kann bemerkenswerte Werkzeuge entwickeln, um Kunst und Kreativität zu unterstützen. Allerdings sind KI-Systeme nicht kreativ im menschlichen Sinne. Sie führen kein originelles Denken oder Forschung durch, und sie verstehen die Texte oder Bilder, die sie generieren, nicht auf die gleiche Weise, wie Menschen das tun.
TROGEMANN: Ich sehe nicht, dass KI eine Gefahr für die Kunst darstellt oder Künstler überflüssig machen könnte. Die Fotografie hat ja auch die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten vor allem erweitert und nicht die Malerei abgeschafft. Und natürlich experimentieren Künstler derzeit mit den ästhetischen Potentialen von KIs. Zunächst würde ich aber Kunst und Kreativität nicht einfach gleichsetzen. Kunst geht weit über Kreativität hinaus, sie kann sich politisch engagieren, soziale Verhältnisse kritisieren und vollkommen neue gesellschaftliche Sichtweisen vorschlagen. Kennzeichen gegenwärtiger KIs ist dagegen, dass sie vorhandene Muster und damit auch ästhetische Stile replizieren und neu kombinieren. Was sich aber jetzt schon deutlich abzeichnet ist, dass KI-Systeme zu einer weiteren massiven Entwertung menschlicher Arbeit führen werden. Bestimmte Aufgaben, die bisher der Kreativ-Industrie zugerechnet wurden, werden in Zukunft sehr viel effizienter und in vielen Fällen sogar besser in einem ko-kreativen Zusammenspiel zwischen Menschen und Maschinen erledigt werden. Doch die Kontrolle über das Geschehen sollten wir nicht aus der Hand geben. Bildgenerierende Verfahren werden mit allen Bildern trainiert, die im Netz verfügbar sind. Die Erzeugung neuer Bilder beruht also auf der rechtlich fragwürdigen massenhaften Aneignung menschlicher kreativer Leistungen der Vergangenheit. Da die Rekombination der Bilder auf sehr abstrakten Ebenen stattfindet, kann dadurch sehr viel Überraschendes entstehen, das wir bisher durchaus als »kreativ« bezeichnet hätten. Tatsächlich sind wir gezwungen, Begriffe wie »Kreativität«, »Verstehen« oder »Erfahrung« im Licht der KI-Technologien neu zu bewerten. Weil KI-Systeme weder über Intention noch Gefühl oder subjektives Erleben verfügen, können sie aus meiner Sicht auch keine Kunst machen. Überlässt man das Urteil, was Kunst ist, dagegen dem Publikum, also der subjektiven Wahrnehmung des Betrachters, dann können sowohl die Natur, aber auch Tiere und natürlich auch Maschinen Kunst produzieren.
Georg Trogemann
…kam 1959 in Bamberg zur Welt und machte 1977 seine Gesellenprüfung als Schreiner. Danach studierte er Informatik und Mathematik in Erlangen und promovierte 1990. Seit 1994 ist er Professor für Experimentelle Informatik an der Kunsthochschule für Medien Köln. Seine Forschungsschwerpunkte sind die gesellschaftliche Bedeutung von Algorithmen, Technikphilosophie und Wechselwirkungen zwischen Kunst und Technik.