Für das Opernhaus von Valencia hat die katalanische Theatergruppe La Fura dels Baus (Regie: Carlus Padrissa) Wagners »Ring des Nibelungen« als Global Play entwickelt. Eine Videowand dominiert die Bühne, über die soghaft ein computeranimierter, dreidimensionaler Bilder-Rausch strömt, als solle man – wie beim »Tristan« – »ertrinken, versinken«. Die Klangwelten und die archetypischen Grundmuster der Erzählung in ihrer filmischen Dramaturgie werden visuell materialisiert und transformiert. Das oft banalisierte Wort vom Gesamtkunstwerk – hier wird es tatsächlich Ereignis, unabhängig von Deutungslinien, die La Fura dels Baus in die Tetralogie einziehen. Romantisches Erbe und Science Fiction vermischen sich, als würden die Phantasien des Jules Verne ins 21. Jahrhundert katapultiert.
Im »Rheingold« rollt die Sphäre zwischen den Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde – der Unterwelt des Fronherrn Alberich und dem Göttersitz Walhall. Die Musik gebiert eine Welt in Unschuld: 136 Takte lang baut sich im Vorspiel in immer neuen Schichtungen ein Es-Dur Akkord auf. La Fura dels Baus versteht dies als Geburtsvorgang, als Evolution von der Zelle zum monströs schimmernden Götzen-Fötus.
Der mythische Sündenfall des »Rings«, in dem der Liebe geflucht wird und die destruktiven Werte Gold und Macht sie ersetzen, in der Neid, Arglist und Rache, Gewalt und Raub herrschen und das Regelsystem einer sittlichen Ordnung außer Kraft setzen, eskaliert zum Krieg der Sterne: ins Kosmische geschossen, im Nichts vor dem Urknall verortet, in die Ursuppe von Mutter Erde getunkt, ins Reich Mittelerde verpflanzt oder was noch so an Assoziationen unsere Sinne streift.
Die Fahrt von Wotan und Loge gen Nibelheim, um die Forderung der Bruderriesen Fafner und Fasolt nach Lohn und Lösegeld zu erfüllen, gerät zum rasanten Sturzflug aus dem galaktischen Irgendwo, der sich durch einen Zeittunnel tief in den Erdkern bohrt.
Während in der Fabrikationshalle Nibelheim das Menschenwesen zum beliebig reproduzierten Gebrauchsobjekt erniedrigt ist, Klone vom Fließband laufen und an Fleischerhaken baumelnd ihrer Verwertung zugeführt werden, regiert in Walhall der Übermensch, modelliert zum skulpturalem Individuum und artistisch verknäuelt in einem Atomium lebender Leiber.
Die Protagonisten dieses »Rheingolds« sind gegenüber dem digitalen Zeitalter zurückgeblieben: Vorstufen des Zukünftigen, Relikte einer plumpen Welt, die sich behelfen muss mit Prothesen, Robotern, mechanischen Kränen.
Die Totale dominiert, das Detail schrumpft. Soziale und politische Aspekte sowie psychologische Betrachtung fehlen. Spektakulär und technisch innovativ, wiegt dieses »Rheingold« sein interpretatorisches Defizit durch Überwältigung auf. Wagner, zum Schauen bestellt. Der »Akzent« liegt im Auge des Betrachters. | AWI
33. Duisburger »Akzente«;
Thema: Duisburg – Hafen der Kulturhauptstadt;
21. Mai bis 6. Juni 2010;
Eröffnung: »Global Rheingold«,
21. Mai, 21.30 Uhr,
Open Air, Mercatorinsel – Ruhrorter Hafen, freier Eintritt;
www.duisburger-akzente.de