TEXT: SASCHA WESTPHAL
»Am Anfang war das Wort«, sagt das Johannes-Evangelium. So ist es auch in der Halle des Depot 1, in die Bühnenbildner Simeon Meier nur einen imposanten Berg aus Sand und Lehm gestellt hat. Gott (Michael Neuenschwander) setzt sich am Fuß der Erhebung an ein Notenpult und spricht. Worte fügen sich zu Sätzen und erschaffen die Welt. So steht in Stefan Bachmanns textgetreu ungekürzter Adaption des Ersten Buch Mose vor dem Spiel zunächst die Erzählung. Die Tat, nach der sich Goethes Faust fieberhaft verzehrt, kommt erst nach dem Wort und entwickelt sich aus ihm. Fast eine dreiviertel Stunde vergeht, bis der Kölner Gott, der in seinem schwarzen Leder-Outfit an einen Rächer aus einem Italo-Western erinnert, erstmals zur Tat schreitet. Er schüttet ein wenig Wasser in den Sand und setzt ein Papierschiffchen in die Pfütze – mehr braucht es nicht für eine Sintflut.
Wie diese erste Aktion, die mit einfachsten Mitteln Bilder und Gefühle erzeugt, erwächst alles in der gut fünfeinhalb Stunden dauernden Inszenierung ganz natürlich aus dem Text. Selbst die vielen Wiederholungen und Stammbaumaufzählungen werden zum integralen Teil eines theatralen Weltentwurfs. Und geben Bachmanns Ensemble die Möglichkeit, über die Worte hinauszuwachsen. Benjamin Höppners Esau, der von Jakob, seinem jüngeren Bruder, getäuscht, betrogen und um den Vater-Segen gebracht wurde, verwandelt die Aufzählung seiner Stämme in einen Akt des Widerstands. Jeder der Namen, die er nennt, ist Kampfansage – an Jakob, an Jehova und das Schicksal. In solchen Momenten entwickelt der Urtext dreier Religionen Wucht und Dringlichkeit. Bachmann findet zusammen mit seinen Darstellern, die alle ihre großen Auftritte bekommen und doch im Dienst der Erzählung stehen, aus der Genesis den universellen Mythos, der mit der Joseph-Geschichte den Bogen in unsere kapitalistische Gegenwart schlägt. Marek Harloffs Joseph, der mit seiner silbernen Hose einem Popstar gleicht (der Pharaos Ernährer im Alten Ägypten vielleicht sogar war), erweist sich als wahrer Nachfolger Gottes. Erst mit Jakobs Liebling macht die Menschheit sich die Erde untertan.