Nun also »Renaissance« als Parteiname statt »La République en Marche«. Wie ist das zu verstehen? Dass die Republik nicht mehr in Bewegung ist und stagniert? Oder dass eine Wiedergeburt ansteht, weil eine frühere Epoche passé ist, also die Gotik, vielleicht, weil die gotische Kathedrale Notre-Dame de Paris abgebrannt ist? Verstehe einer die Grande Nation und den neuen Napoleon und zweifachen Wahlsieger Emmanuel Macron und seine smarten Wende!
Reinigungskraft – das sei die Zukunft, sagt die freundliche junge Dame auf dem Arbeitsamt oder wie immer die Behörde zur Jobvermittlung in Frankreich heißt. 7,96 Euro netto ist der Mindestlohn. Das reicht gerade mal für eine Gelbweste. Marianne – wie Frankreichs Nationalheilige – Winckler, eine Frau in den Fünfzigern, hat eine Ehe hinter sich, keine Berufserfahrung, nur ein paar Semester Jura. Jetzt ist sie nach Caen gezogen, hat ihre Kontakte zu Pais abgebrochen – »vom Radar verschwunden« und »Niemand« mehr, schreibt und verteilt ihren Lebenslauf und antwortet, beim Bewerbungsgespräch befragt nach ihren Stärken, ganz nach Vorschrift »dynamisch, fröhlich, teamfähig« zu sein.
Juliette Binoche hat einen wachen Blick, resignierten Gleichmut und leicht amüsiertes Staunen, während sie sich in die neue Arbeitswelt einübt. »Sourire, Bonjour, Au revoir, Merci«, so lernt sie, seien die notwendigen Formeln für den Job. L’Immaculé ist der Name des Unternehmens – gut katholisch: makellos wie die ‚Unbefleckte Empfängnis’. Aber in diesem Metier bleibt keiner sauber und körperlich schmerzfrei.
Sie steht in aller Herrgottsfrüh’ auf, um Toiletten zu putzen, Büros zu säubern, Müll zu beseitigen, von A nach B zu fahren, sich das Spezifische der jeweiligen Arbeitsstelle zu merken, nur nichts vergessen, nicht schludern und immer recht freundlich. Kaum hat sie angefangen, wird sie schon gefeuert. Und weiter geht’s. Sie fährt mit einem mobilen Einsatzkommando Schichten auf einer Passagier-Fähre: 230 Kabinen im Akkord. Die Zeit ist immer der Feind.
Nach einer Weile wird klar, dass Madame Winckler eine weibliche Version von Günter Wallraff ist, eine Autorin, die für eine Buch-Reportage über ‚Ganz unten’ recherchiert. Sie trifft auf die rabiate Pression der Bosse und Unter-Chefs, die auf Einhaltung der Zeitpläne beharren und herumschnauzen, und auf die Solidarität der Werktätigen. Sie findet eine Freundin, Christèle (Hélène Lambert), die sie – auch – betrügt und belügt durch ihre Scheinexistenz. Als sie auffliegt, ist es ein Verrat. Ein fake. Das Buch erscheint. Eine andere Wahrheit. Aber keine gemeinsame. Dass »Wie im echten Leben« nicht versöhnlich zwischen Marianne und Christèle endet, macht den Film von Emmanuel Carrère groß.
»Wie im echten Leben«, Regie: Emmanuel Carrère, Frankreich 2021, 106 Min., Start: 30. Juni