Die christlichen Kirchen in Deutschland verlieren immer mehr Mitglieder. Eine der Folgen: Viele der Gotteshäuser sind entweder zu groß oder völlig entbehrlich. Was tun mit den Monumenten, die als Denkmale des Glaubens keine Zukunft haben? Eine Ausstellung des Museums der Baukultur NRW zeigt Alternativen auf.
»Stell Dir vor, es ist Gottesdienst, und keiner geht hin«: Das mag drastisch klingen, ist jedoch vielerorts bereits Realität. Hierzulande sind die Mitgliederzahlen der beiden großen Konfessionen im freien Fall. Deshalb erweisen sich die meisten Kirchen, einst für florierende Gemeinden errichtet, als überdimensioniert. Weil der Unterhalt historischer Kirchengebäude zudem viel Geld verschlingt, geschieht immer öfter, was noch vor 70 Jahren undenkbar schien: Kirchen verlieren ihren Kultstatus und werden zum Objekt auf dem Immobilienmarkt.
Dass diese für Katholik*innen und Protestant*innen schmerzhafte Entwicklung auch positive Seiten haben kann, verdeutlicht nun eine Ausstellung des mobilen Museums der Baukultur NRW: »Kirchen als Vierte Orte – Perspektiven des Wandels« dokumentiert 26 Beispiele umgenutzter Kirchen in Nordrhein-Westfalen. Zudem beleuchtet die von Felix Hemmers kuratierte Schau die Hintergründe dieser Transformationen in Form von Video-Interviews – zu Wort kommen beispielsweise Architekt*innen, die mit solchen Umbauten befasst waren, Pfarrer*innen, Gemeindemitglieder oder Immobilienentwickler*innen.
Kirchen als Kunstorte
Ideal, dass der Ausstellungsort, den der in Gelsenkirchen ansässige Baukultur-Verein bespielt, zugleich ein Exponat ist: Die Essener Heilig-Geist-Kirche, 1956–1957 von Dominikus und seinem Sohn Gottfried Böhm erbaut, wird seit 2020 nicht mehr liturgisch genutzt. Welche Zukunft diesem Zeugnis der beiden renommierten Kirchenarchitekten bevorsteht, ist derzeit in der Schwebe. Jedenfalls plant ein Investor, aus Heilig Geist einen »Kunstort« zu machen und dabei lokale Kultureinrichtungen und Hochschulen einzubeziehen.
Die Crux der verwaisten Kirchen besteht darin, dass sie sich aufgrund ihrer auf den Gottesdienst zugeschnittenen Baugestalt und wegen denkmalpflegerischer Aspekte nicht so problemlos umfunktionieren lassen wie die meisten profanen Gebäude. Die Ausstellung präsentiert ein Extrembeispiel, das auch manch einem, der mit Religion nichts am Hut hat, Unbehagen bereiten mag: Die Rede ist von einer weiteren Kirche Gottfried Böhms, St. Rochus in Jülich, eingeweiht 1961, vor zwei Jahren verkauft. Inzwischen hat hier ein Fahrradgeschäft samt Werkstatt Einzug gehalten.
Mit dem Charakter und der Würde der Bauwerke besser vereinbar sind kulturelle Umnutzungen. Hierfür kann die Ausstellung eine ganze Reihe geglückter Metamorphosen ins Feld führen: beispielsweise St. Ursula in Hürth bei Köln, noch ein Bau von Gottfried Böhm, errichtet 1954–1956, 1993 unter Denkmalschutz gestellt. 2010 erwarb der Galerist Rafael Jablonka das Gebäude und machte daraus einen sakral aufgeladenen Kunstraum, die »Böhm Chapel«.
An Beispielen für Kulturkirchen, in denen Ausstellungen, Performances, Konzerte oder Lesungen stattfinden, mangelt es ohnehin nicht in NRW: Die Friedenskirche Bochum, die Liebfrauenkirche Duisburg und die Kreuzeskirche in Essen beweisen, dass diese Bauten reichlich Potenzial besitzen, obwohl sie ihren Status als Gotteshäuser verloren haben. Daran gilt es anzuknüpfen. Schließlich droht bis zu 50 Prozent der Kirchengebäude in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten der Leerstand. Von den ungefähr 6000 Kirchen in NRW könnten also schlimmstenfalls bis zu 3000 überflüssig werden. Keine schönen Aussichten.
»Kirchen als Vierte Orte – Perspektiven des Wandels«
Ausstellung des Museums der Baukultur NRW in der
Heilig-Geist-Kirche in Essen-Katernberg
1. September bis 6. Oktober