Er ist das klassische Beispiel einer Doppelbegabung: Søren Aagaard hat sowohl Kunst studiert als auch eine Ausbildung zum Koch gemacht. Mittlerweile ist der 1980 geborene Däne Stammgast im internationalen Ausstellungsbetrieb – zuletzt, 2023, nahm er an der Performa Biennale in New York teil. Parallel betreibt er in Kopenhagen ein eigenes Restaurant, das Foodoir im Stadtteil Østerbro. Ein Lokal in einer Villa aus dem frühen 20. Jahrhundert, das nur auf Vorbestellung und zu speziellen Anlässen öffnet. Saisonale Fischgerichte und Meeresfrüchte dominieren die kleine, aber feine Speisekarte. »Anders als bei meiner Arbeit als Künstler geht es hier darum, die Kunden zufriedenzustellen und ihnen das bestmögliche Erlebnis für ihre Partys und Events zu bieten«, sagt Søren Aagaard.
Für Nico Anklam, Direktor der Kunsthalle Recklinghausen seit 2021, ist es die dritte Kunstausstellung der Ruhrfestspiele, die er kuratiert. In den vergangenen beiden Jahren erhielten die beiden Künstlerinnen Flo Kasearu und Angela Ferreira hier ihre erste Einzelausstellung in einem deutschen Museum. Mit Aagaard vereint sie »eine performative Komponente«, sagt Anklam. »Dieser rote Faden ist neu, und ich wollte damit die enge Verbundenheit von Kunsthalle und Ruhrfestspielen klarer herausstellen. Wir sind bald 75 Jahre zusammen unterwegs!«
Gemeinsam mit Aagaard hat er bereits Projekte verwirklicht, die das weite partizipative Feld zwischen Kunst, Performance, Kochen und Essen erkunden. »Ich habe der dänischen Kunstszene schon immer viel abgewinnen können«, bekennt Nico Anklam – »wegen ihrer Ästhetik, dem politischen Engagement, aber auch wegen des klugen Humors. Zudem richten wir mit Søren Aagaard nochmals den Blick auf Alltagskultur, eine wichtige Komponente in der Geschichte der Kunsthalle.«
Zur Geschichte der Eat Art
Die Geschichte der Eat Art, in deren Tradition Søren Aagaard steht, ist ziemlich jung. Das Kochen als museumswürdige Handlung zu begreifen, Lebensmittel als Kunstmaterial zu verwenden, diese – zunächst bizarr erscheinende – Idee machte in den 60er Jahren als erster Daniel Spoerri salonfähig. Mit seinen »Fallenbildern«, bestückt mit den Überbleibseln von Mahlzeiten, schuf er dreidimensionale Stillleben. Weil Spoerri auch neue Gerichte erfand, selbst hinterm Herd stand und von 1968 bis 1972 in Düsseldorf ein eigenes Restaurant betrieb, gebührt ihm der Ehrentitel des ersten Chefkochs, der den Kunstdiskurs nachhaltig beeinflusste.
Zur Crème de la Crème der Eat Art gehören außerdem André Thomkins, Dieter Roth und Rirkrit Tiravanija. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist der deutsche Pavillon der Venedig-Biennale 2009: Damals ließ der britische Künstler Liam Gillick ein Remake der sogenannten »Frankfurter Küche« einbauen – die 1926 von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky entwickelte Einrichtung gilt als der Urtyp der modernen Einbauküche.
Søren Aagaard nimmt den Faden der historischen Eat Art auf und spult ihn weiter. Beispielsweise, indem er Trends wie die »New Nordic Kitchen« oder die dänische Wellness-Philosophie »Hygge« hinterfragt. Solche Zeitgeist-Phänomene, die in manchem ein Spiegelbild unserer Gesellschaft sind, spielen bei der Ausstellung in Recklinghausen ebenso eine Rolle wie historische Reminiszenzen: So wurde bei Ausgrabungen in Pompeji eine Fast-Food-Theke entdeckt, die beweist, dass schnelles Essen längst keine Erfindung der Neuzeit ist.
In dem ehemaligen Hochbunker wird auf drei Geschossen und einer Fläche von rund 1000 Quadratmetern aufgetischt. Mit Küchenmobiliar, Kochzubehör, Fotos, Videos, Texten und anderen Dokumenten gibt Søren Aagaard dem Publikum Einblick in seine Kochaktionen. Bei den meisten geht es fröhlich zu; manchmal kommt aber auch Apokalyptisches auf den Speisezettel. So bei einer »Sci-Fi Fantasy Cooking Session«, die der Künstler »Cafe Zero« betitelt hat: In einer düsteren Zukunft, in der Nahrung knapp ist, setzen Prepper auf Einweckgläser mit lokalen Produkten, um das Überleben zu sichern.
Dass Aagaard auch vor massenkompatiblen Gerichten keine Scheu hat, demonstrierte er mit »Fries«: Im Berliner Sommerbad Humboldthain offerierte der Künstlerkoch 2017 selbsthergestellte Pommes-frites-Saucen; als Begleitmahlzeit wurde eine Pommes-Ausstellung serviert. Vergleichbare Performances sind auch in der Kunsthalle Recklinghausen geplant – an bestimmten Tagen soll sich das Erdgeschoss in das Setting einer veritablen Kochshow verwandeln.
Aagaard ist Grenzgänger aus Passion. Für ihn besteht kein Zweifel daran, dass sich die Welt der Kunst und das kulinarische Revier der Gastronomie wechselseitig bereichern: »In vielerlei Hinsicht spiegelt die Gestaltung eines Kunstwerks die Konzeption eines Restaurants wider«, so der Künstler. Als Beispiele nennt er »die Integration von Speisen, Beleuchtung, Musik, Dekoration, Wandkunst und das Design der Speisekarte«. Damit nicht genug: »Als Koch und Künstler arbeite ich auf der Grundlage vieler gemeinsamer Aspekte wie Illusion, Geschichtenerzählen, Kreation, Konzeptentwicklung und Geschmack.«
Auch Nico Anklam erkennt etliche Wahlverwandtschaften: »Kulturelle Identität und Aneignung, soziale Gefüge und Gefälle, die Frage nach den Sichtbarkeit von Geschlechtern, die Vertriebswege der Zutaten und die Werkzeuge der Verarbeitung, Arbeiter*innen in Küchen und Gastronomie auf der ganzen Welt, all das hat überraschend viele Parallelen mit dem Kulturbetrieb.«
Da tut sich also ein üppiger Strauß von Beziehungen, Korrespondenzen und Querverweisen auf. Hinzu kommt, dass es sich bei der Werkübersicht von Søren Aagaard um einen besonderen Typus von Ausstellung handelt. Ist sie doch kein Solitär, sondern flankiert ein Theaterfestival. Neben der Tatsache, dass beide Institutionen, Kunsthalle wie Ruhrfestspiele, sich dem Ruhrpott-Motto »Kunst und Kohle« verpflichtet wissen, weist Nico Anklam auf einen strukturellen Unterschied hin: »Als Partner mit den Ruhrfestspielen kann ich für diese Schau von Anfang an größer und umfänglicher denken. Die Ausstellungsleitung liegt zwar bei der Kunsthalle, aber der inhaltliche Austausch mit dem Intendanten Olaf Kröck und dem Chefdramaturgen Jan Hein prägt unsere gemeinsamen Projekte.«
Die ganzheitliche Perspektive, mit der Søren Aagaard über den Tellerrand der Essenszubereitung hinausblickt, lässt an Ludwig Feuerbach denken: Mit seinem Credo »Der Mensch ist, was er isst« schockierte der Philosoph und Gastrosoph nicht nur das 19. Jahrhundert, dem er zugehörte. Noch heute stoßen sich viele an der vermeintlichen Überhöhung des als banal angesehenen Essvorgangs. Feuerbach dagegen glaubte, Nahrung sei »der Anfang der Weisheit«. Seine Theorie spitzte er in dem Satz zu: »Die erste Bedingung, dass du etwas in dein Herz und deinen Kopf bringst, ist, dass du etwas in deinen Magen bringst.« Eigentlich eine perfekte Anmoderation für die Ausstellung von Søren Aagaard in der Kunsthalle Recklinghausen.
»Søren Aagaard«, Kunsthalle Recklinghausen, 4. Mai bis 4. August
Website von Søren Aagaards Restaurant Foodoir: foodoir.dk