TEXT: REGINE MÜLLER
Mit ihrer subtilen, ausgereiften Deutung von Debussys Albtraum-Oper »Pelléas et Melisande« am Aachener Theater hatte die junge Eva-Maria Höckmayr 2009 Aufsehen erregt und für diese Aufführung einige wichtige Regie-Preise eingesammelt. Insofern war Mozarts »Don Giovanni« der hoch begabten Newcomerin mit Hoffnungen belegt und von Erwartung belastet. Doch fiel Höckmayr zweieinhalb Wochen vor der Premiere aus, wegen »Erkrankung«. Ihre Arbeit hinterließ sie unfertig. Das Problem ließ sich intern lösen. Ludger Engels, Aachens Mozart-erfahrener Chefregisseur (er hat dort einen Zyklus der Herrscherdramen des Komponisten herausgebracht), übernahm die nicht unbedingt dankbare Aufgabe.
Mozarts Oper aller Opern fordert Souveränität, allein schon, um die turbulente Handlung und einige der schwer aufzulösenden Schlüsselszenen zu bewältigen. Von der Interpretation des Titelhelden ganz abgesehen: Eroberer, erotischer Nimmersatt, anmaßender Edelmann und Freigeist ohne Moral. Skrupellos nutzt Don Giovanni jedes Abenteuer, scheut vor Gewalt nicht zurück, bis er Opfer der eigenen Kühnheit, Begierden und Hybris – und der zur Rache verschworenen Gesellschaft wird. Ric Schachtebecks abstrakter Einheitsraum zeigt ein flaches, himbeerfarbenes Podest, dessen drei Wände aus drehbaren Türen bestehen, wie man sie von Wetterhäuschen kennt. Die Spielfläche ist gerahmt von grauen Wänden, wiederum bestehend aus Drehtüren, die Versteckspiele, Heimlichkeiten und Überraschungen erlauben.
Don Giovanni (Wieland Satter) wirkt zunächst beinahe unscheinbar, weder ein Mann der großen Geste, noch sonderlich verführerisch oder finster. Auffallend die Faszination, die der Tod auf ihn ausübt. Nachdem er den Komtur erstochen hat, fesselt ihn der Anblick der Leiche derart, dass er sich kaum losreißen kann und sich kurzerhand neben sie legt. Seine Anziehungskraft scheint vor allem darauf zu beruhen, dass die Menschen ihn zur Projektionsfläche der eigenen Wünsche, Sehnsüchte und Aggressionen machen und in das Netz ihrer bürgerlichen Neurosen verwickeln.
Auch wenn die Figuren klar gezeichnet sind, spürt man, dass zum Feinschliff die Zeit fehlte. Kraftzentrum des Abends ist das Orchester. GMD Marcus R. Bosch lässt keinen Zweifel daran, dass er das Werk für ein düsteres, hoch dramatisches Stück Musiktheater hält. Er wählt sehr rasche, nervöse Tempi. Naturtrompeten, Barockposaunen und Naturfellpauken produzieren zugespitzte, aufgeraute Klänge, die Streicher spielen mit kontrolliertem Vibrato. Exakt wurde mit den hervorragenden Sängern (durchweg junge, schlanke Stimmen) gearbeitet, keine Phrasierung dem Zufall überlassen; das Miteinander mit dem Orchester ist mustergültig, der Gesamtklang kammermusikalisch transparent. Ein mitreißender, temporeicher, sehr heutiger »Don Giovanni«.