TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Für Freunde des guten Geschmacks war das nichts: Kopfsalat aus grünem Kunststoff; Hähnchen und Fische, die aus einer Art Bauschaum um ein passendes Skelett gepresst und anschließend originalgetreu lackiert wurden – Luis de Funès enttarnte als Restaurantkritiker Charles Duchemin in der Filmsatire »Brust oder Keule« (1976) die Produkte des Industriellen Jacques Tricatel angeekelt-furios als widerliche Fabriknahrung, die echtes Essen nur imitiert. Die Realität ist manchmal noch unappetitlicher. Kürzlich wurden auf einem chinesischen Markt gefälschte Hühnereier entdeckt. Diese äußerlich täuschend echt wirkenden Plagiate bestehen aus Gelatine, Paraffinwachs sowie aus Farb- und Zusatzstoffen; schmecken seltsam oder nach nichts und können Magenprobleme nach sich ziehen.
Es wundert nicht, dass die Eier-Plagiate ausgerechnet in China gefunden wurden. Das Land gilt als Hochburg und fälscht, was das Zeug hält. So stammten von den plagiierten Produkten, die der Zoll im Jahr 2010 beschlagnahmte, 79 Prozent aus China. Was laienhaft als Hinterhofproduktion begann, hat sich längst zu einem professionellen, internationalen Netzwerk aus Herstellung, Logistik und Vertrieb und zu einer der gravierendsten Formen der Wirtschaftskriminalität des 21. Jahrhunderts entwickelt. Die Eier sind ein kurioses wie extremes Beispiel; das große Geld wird mit Markenverletzungen von Luxusgütern und dem Plagiieren von Dingen des täglichen Gebrauchs verdient. Gerade letztere werden oft bis ins letzte Packungs-Detail kopiert und sind für den Konsumenten schlecht vom Original unterscheidbar, während es bei Luxus-Handtaschen oder Uhren oft wissentlich in Kauf genommen wird, dass Fälschungen erworben werden. Ein klappriger Rolex-Nachbau für 20 Euro, der einem nach einem halben Jahr vom Handgelenk fällt, kann für manche Zeitgenossen trotzdem ein nettes Urlaubs-Mitbringsel sein.
Mehr aber auch nicht. Der wirtschaftliche Schaden ist immens und trifft nicht nur die großen Marken-Konzerne, sondern auch den Mittelstand. Es geht nicht nur um den entgangenen Erlös beim Verkauf, sondern auch um die Entwicklungskosten – so wurde an einem Honiglöffel der Firma »Koziol« von der ersten Design-Skizze bis zum marktreifen Produkt ein Jahr gearbeitet; die Kosten beliefen sich auf 125.000 Euro.
Der Löffel und sein Plagiat gehören zu den 350 Exponaten, die in der Sammlung des Solinger »Museum Plagiarius« zu sehen sind. Hier stehen Gut und Böse nebeneinander, man kann, wie damals in den Suchgemälden der Hörzu (»Hier sind sieben Fehler versteckt«), direkt vergleichen. »Wir wollen die Öffentlichkeit auf diese Thematik aufmerksam machen und sensibilisieren«, sagt Christine Lacroix von der »Aktion Plagiarius e.V.«. Der Verein zeigt im Museum nicht nur die dreistesten Produkt-Fälschungen in einer Dauerausstellung, sondern ergänzt die Sammlung auch immer wieder mit neuen Plagiaten. Eine sichere Quelle ist der jährlich ausgeschriebene Plagiarius-Wettbewerb, bei dem die unverschämtesten Plagiate mit dem Negativpreis »Plagiarius« ausgezeichnet werden. Der Preis ist mit Recht wenig schmeichelhaft – ein schwarz lackierter Gartenzwerg mit einer goldenen Nase. Hersteller, die Fälschungen ihrer Produkte auf die Schliche gekommen sind, können diese beim Wettbewerb einreichen; eine jährlich wechselnde Jury kürt die schlimmsten Plagiate, die dann auf der Konsumgütermesse »Ambiente« in Frankfurt der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Das Museum ist seit 2007 im Solinger Südpark beheimatet, in der ehemaligen Güterabfertigung und somit in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Bahnhof Solingen-Mitte, dem heutigen »Forum Produktdesign«. Ihren Anfang nahm die Idee »Plagiarius« bereits 1977, als der Designer Rido Busse auf einer Messe das japanische Plagiat einer Brief-und Diätwaage entdeckte, die er für das Unternehmen »Soehnle-Waagen« entworfen hatte. Als Konsequenz daraus entstand die Idee des Negativpreises und die damit verbundene Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.
Die Waage im grellen 70er Jahre-Orange findet sich als ältestes Exponat noch heute in der Sammlung, neben Alltäglichem und Kuriosem. Die chinesischen Kopierer, so scheint es, schrecken vor nichts zurück, auch nicht vor der Gefährdung von Sicherheit und Gesundheit der Konsumenten. Das Plagiat der schicken Badarmatur »MEM« des deutschen Unternehmens Dornbracht hat nicht nur eine leicht veränderte Formgebung; die wasserführenden Elemente weisen zudem einen Bleigehalt auf, der 70 Prozent über dem in Deutschland genehmigten Wert liegt. Neben dem Mokik-Bike »MadAss« von Sachs steht die fernöstliche Kopie – »Russisches Roulette auf zwei Rädern«, so das Museum. Schlechte Schweißnähte, auseinanderfallende Blinker und ein Luftfilter, den man eher als Teesieb benutzen könnte, grenzen an fahrlässige Körperverletzung. Ähnlich sieht es beim diesjährigen Gewinner des Wettbewerbs aus, der Leichtbau-Schmiedefelge »AC Schnitzer Typ V«, deren Plagiate nicht geschmiedet, sondern lediglich günstig gegossen wurden und bei Standard-Belastungstests des TÜV Nord nach kurzer Zeit Risse aufwiesen, bis sie schließlich komplett auseinanderbrachen. Der lebensgefährliche Schrott wurde von einer Essener Firma vertrieben und sogar auf der Essener Motorshow beworben.
Nicht weniger dreist ist das Plagiat des Salatschneiders »Salad Chef«. Das Original wurde 1:1 kopiert; nicht nur das Gerät, sondern auch die Verpackung und das beiliegende Rezeptheft inklusive der echten Telefonnummer des Kundendienstes. Wenn dem Konsumenten das Teil irgendwann um die Ohren fliegt, beschwert er sich also bei der Genius GmbH in Limburg und nicht bei der »Ninghai Xidian Jianfeng Plastics Mould Factory« in Zhejiang.
Neben den Plagiaten der unterschiedlichsten Branchen finden sich auch Markenschutzverletzungen in der Sammlung – grafisch interessant und teils von großer krimineller Kreativität. Statt »Smarties« gibt es »Smorties« aus Bangladesch und auf den Fake-Badeschlappen steht in identischer Typografie »Adadis« statt »Adidas«. Verschnupft dürfte auch »Tempo« auf die Plagiate seiner Taschentücher reagiert haben. Der Unternehmer Christian Rommel hat dem Museum seine Sammlung von über 100 »Tempo«-Varianten, die er auf Asien-Reisen entdeckt hat, als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Alle Packungen sind im charakteristischen Blau-Weiß gehalten, heißen aber stattdessen »Tembo«, »Tmpao«, »Timpo« und »Tompe«; da aber die Farbkennung, wie bei Coca-Cola, als Erkennungszeichen überall funktioniert, gibt es auch Eigenkreationen wie »HipHop«, »Sunny« oder »Xueyi«.
Die Gebrauchsgüter machen den Großteil der Sammlung aus. Gefälschte Designklassiker sind selten, dafür gibt es auch mal richtigen Kitsch wie das mit Gesichtern verzierte Küchenzubehör aus buntem Kunststoff. Christine Lacroix ist sich dessen durchaus bewusst, denn: »Gefälscht wird nur, was auch erfolgreich ist.«
Museum Plagiarius, Solingen-Mitte Dauerausstellung. Tel.: 0212/ 2210731. www.plagiarius.com