Ein bisschen Bauhaus auf Zeit: Das einzige Bauhaus100-Projekt des Landes NRW setzt in Krefeld auf einen Pavillon von Thomas Schütte.
Auf der Wiese steht ein achteckiger Pavillon aus hellem Holz. Seine Fundamente sind nur in den Boden geschraubt worden. Im Dezember wird sein Dach aufgesetzt. Dann wird er sich äußerlich nicht mehr verändern. Nur das Holz dunkelt leicht nach. Im Inneren allerdings werkelt man, vor neugierigen Blicken geschützt, weiter. Zeitsprung zum 7. April 2019: Im Krefelder Kaiserpark wird »Pavillon«, eine begehbare Holzskulptur des Künstlers Thomas Schütte, eröffnet. In ihrem Inneren zeigt sie auf 200 Quadratmetern die siebenteilige Ausstellung »Bauhaus und Industrie in Krefeld“. Gemütlich wie in einem kleinen Kino ist es: Filme, Zeitdokumente und Führungen lassen knapp 100 Besucher eintauchen in die Geschichte der avantgardistischen Hochschule für Gestaltung und ihrer Verbindung zu Krefeld. Mit »Pavillon« leistet das Land NRW seinen einzigen, dafür exquisiten Beitrag zum Jubiläum »100 Jahre Bauhaus«.
Schütte erste Einzelschau war in Krefeld
»Wir wollten die Verbindung zur Kunst über die Kunst herstellen«, sagt Christiane Lange, Vorsitzende der Krefelder Initiative Projekt MIK, die das »Pavillon«-Projekt ins Leben gerufen hat. Lange hat sich für diese 450.000 Euro schwere Verbindung ausdrücklich den international bekannten Thomas Schütte herbeigewünscht. 1986 hatte der Maler, Bildhauer und Objektkünstler im Kunstmuseum Krefeld seine erste Einzelausstellung mit architektonischen Skulpturen (oder auch skulpturalen Architekturen) gezeigt. Einige seiner Modelle wurden daraufhin tatsächlich gebaut, darunter die Skulpturenhalle in der Nähe des Kunstzentrums Hombroich. Diese Komplexität in Schüttes Werk sollte auch dem Krefelder Jubiläumsbeitrag das künstlerische Gewicht verleihen, sagt Christiane Lange. 2015 präsentierte ihr der Künstler schließlich »Pavillon«, »ein Skulpturenmodell, so groß wie ein Kuchen«. Dabei spielten das Bauhaus und seine Idee von Architektur für Schütte keine Rolle. Mit seiner Arbeit wolle er vielmehr auf die bildende Kunst als Impulsgeberin hinweisen.
Bauhaus und Krefeld – ist die Verbindung nicht an den Haaren herbei gezogen? Die übliche Trias lautet schließlich Weimar, Dessau, Berlin: Die Kunstschule war am 1. April 1919 aus dem Zusammenschluss der Weimarer Kunstakademie und der Kunstgewerbeschule entstanden. Dann musste sie zwei Mal vor den Nationalsozialisten, die sie mit »bolschewistisch«, »jüdisch« und »undeutsch« etikettierten, fliehen – 1925 nach Dessau, 1932 in eine stillgelegte Berliner Telefonfabrik – bis sie 1933, nach nur 14 Jahren, dichtgemacht wurde.
Passionierte Kunstsammler: die Seidenfabrikanten der Stadt
»Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!« Hinter den Satz hatte Gründer Walter Gropius im Bauhaus-Manifest ein Ausrufezeichen gesetzt. Freie traf auf angewandte Kunst, Architektur und Pädagogik. Das Spiel zwischen den eigentlich sauber getrennten Disziplinen beschränkte sich nicht mehr auf die jeweiligen Spielfelder. Kunst wurde, um beim Bild zu bleiben, verstanden als Aufschlag für ein grenzenloses Spiel, das nichts Geringeres als die Revolution der konkreten Lebenswirklichkeit der Menschen im Sinn hatte.
Den modischen Alltag bestimmte damals auch der Seidenstoff, der zu Kleidung, aber auch zu Bettwäsche verarbeitet wurde. Und über diesen erreichte die Experimentierfreude des Bauhaus die Stadt Krefeld. Die ansässigen Seidenfabrikanten, alle Sammler der zeitgenössischen Kunst, wollten den Export durch modernes Design ankurbeln. Den Nachwuchs holten sie über die Gestalterausbildung gleich mit ins Boot. Rund 25 Bauhäusler entwarfen seitdem Dessins für die zahlreichen Textilfabriken der Stadt und lehrten an der Schule für Flächenkunst, der Textilingenieurschule und der Werkkunstschule. Auch nach 1933, als das Bauhaus nicht mehr existierte, arbeiteten sie ganz offiziell weiter – so zum Beispiel Georg Muche, der fast 20 Jahre lang die Meisterklasse für Textilgestaltung leitete.
Seit 2010 untersucht die Initiative Projekt MIK, das Krefelder Netzwerk von Bauhäuslern und Akteuren der Seidenindustrie, des Werkbundes und der Kunstszene – und damit ein Stück rheinische Kultur- und Industriegeschichte. »MIK« steht für »Mies in Krefeld«, was viel über die Präsenz des Avantgarde-Architekten Ludwig Mies van der Rohe, 1930 bis 1933 Direktor am Bauhaus, aussagt: Nirgendwo sonst in Europa stehen so viele von ihm und Designerin Lilly Reich entworfene Architekturen und Ausstellungsbauten. Gleich beim »Pavillon« um die Ecke befinden sich beispielsweise die Villen Haus Lange und Haus Esters mit ihren weitläufigen Gärten, 1928-30 gebaut für die Gründer der damals größten Seidenstoffweberei. Was es sonst noch Bauhäuslerisches in Krefeld zu entdecken gibt, verrät ein webbasierter »digitaler Architekturguide«: Angereichert mit Informationen über großbürgerliches Wohnen, ansässige Künstler, Industrielle und Sammler führt er zu zahlreichen relevanten Gebäuden.
Im Gegensatz zu Letzteren sind die Tage von Thomas Schüttes »Pavillon« bereits gezählt. Zwar soll er nach Ausstellungsschluss am 27. Oktober 2019 weiter genutzt werden, aber höchstens für ein paar Jahre. Dann werden die Fundamente wieder aus dem Boden heraus geschraubt.