Das war wohl die vorerst letzte Premiere in NRW: In Krefeld wurde »Rusalka« von Antonín Dvořák gespielt. Zwei Tage zuvor hatte es in Dortmund noch »Die Stumme von Portici« von Daniel-François-Esprit Auber gegeben – als Geisterpremiere. Ohne Publikum. Auch am Theater Krefeld Mönchengladbach ging dann die Inszenierung von Ansgar Weiger vor leeren Rängen über die Bühne. Im Publikum: nur eine Handvoll Journalisten und Hausangestellte.
Nur noch die Öde des leeren Saals
Der Begriff »Geisterpremiere« trifft die Empfindungen bei so einer Aufführung recht gut. Die Freude über den zusätzlichen Platz, um die Beine abwechselnd nach rechts und links auszustrecken, die Ungestörtheit ohne sich räusperndes Mitpublikum, kein Handygepiepe und kein Dauergetuschel – sie weicht nach nur wenigen Minuten, und es ist nur noch die Öde des leeren Saales, die völlige Abwesenheit jeder Atmosphäre zu spüren. Im Fall von Musiktheater kommt noch die merkwürdige Akustik im hohlen Raum hinzu.
Im dritten Akt von »Rusalka« wird die Nixe von ihrer Mutter in einen Keller gesperrt. Allein mit einer Batterie von alten Computerbildschirmen. Ein fast prophetischer Moment – der Livestream als letzte Verbindung zur Welt? Tatsächlich wurde die Premiere auf dem Youtube-Kanal des Theaters übertragen. Ist das eine Möglichkeit für die Theater, den Betrieb wenigstens im Virtuellen aufrecht zu erhalten? Und sei es nur, um beim Publikum präsent zu bleiben, den begonnen Arbeitsprozessen ein Ziel zu geben? Der Choreograph Giuseppe Spota streamte auf seiner Facebook-Seite ganze Proben der MiR Dance Company, als müsste er sich mit dieser Form der Öffentlichkeit vergewissern, dass er und sein Ensemble noch da sind.
»Ich saß einfach nur da und war ratlos.«
Alexander Ritter vom Bochumer rottstr5theater
»Ich saß einfach nur da und war ratlos«, sagt Alexander Ritter. Er ist Regisseur, Schauspieler und im Leitungsteam des kleinen freien rottstr5theaters in Bochum. Mitte März hätte er eigentlich in Dresden sein sollen: zum Probenstart für »Madame Butterfly« in einer Schauspielrolle. Doch dann wurde der Termin auf zunächst Anfang April verschoben. Ob das zu halten ist, weiß niemand. Die Arbeit am rottstr5theater war bereits vor dem Wochenende vom Ordnungsamt untersagt worden. Wenigstens eine Rundmail von der Stadt oder dem Oberbürgermeister wäre eine Zeichen der Unterstützung gewesen, auch wenn Ritter die Überforderung durch die Situation in der Verwaltung natürlich nachvollziehen kann. Aber kann umgekehrt auf den Ämtern jemand verstehen, was es bedeutet, nicht mehr auf der Bühne zu stehen, keine Kunst mehr machen zu können?
In Dortmund wird gerade Intendant Kay Voges durch die Krise um seinen groß angelegten Abschied nach zehn erfolgreichen Jahren in der Stadt gebracht. Aber müsste nicht gerade er, der das Digitale und das Theater zusammenbrachte, der sogar eine Akademie, die sich mit diesen Themen beschäftigt, aus der Taufe hob und mit »Parallelwelten« ein Stück schuf, das zwischen Berlin und Dortmund gestreamt wurde, jetzt die Chance nutzen? »Zuerst hatten wir überlegt, Proben oder Vorstellungen zu senden«, erzählt Voges. Seine Inszenierung »Play: Möwe« wäre dafür ideal gewesen, weil sie die Ästhetik des Streams auf der Bühne nutzt. Die jeden Tag schärferen Vorgaben machten aber auch solche Pläne schon wieder Tage später zunichte. Selbst an den Aufführungen sind zu viele Menschen gleichzeitig beteiligt. Auch der Probenbetrieb ist jetzt untersagt.
Ein Livestream verursacht Kosten – aber keine Einnahmen
Bestehende Mitschnitte von Aufführungen zu zeigen, wäre die letzte Möglichkeit. »Da gibt es allerdings ein Urheberrechtsproblem mit den Verlagen«, sagt Voges. Seit Jahren werde daran gearbeitet. Auch das Recht am eigenen Bild der Schauspieler*innen könnte Schwierigkeiten bereiten. Der Deutsche Bühnenverein sucht da nach einer Regelung. Eine Lösung gibt es noch nicht. Hinzu komme, so Voges, dass ein Livestream Mehrausgaben, aber keine Einnahmen produziere. »Es ist extrem frustrierend.« So sitzt Kay Voges in seinem Büro im Dortmunder Schauspielhaus und schreibt Absagen an Künstler*innen, bis der Betrieb völlig eingestellt wird. »Vielleicht bringt die Corona-Krise aber in den Fragen der Urheberrechte wenigstens etwas in Gang«, versucht er der Situation etwas Positives abzugewinnen. Und vielleicht führt das alles dazu, dass wir, das Publikum, danach das kollektive Erlebnis ganz neu zu schätzen lernen.
Nachtrag: Kay Voges verlegt nun doch einen Teil seines Spielplans ins Netz und stellt Inszenierungen der vergangenen zehn Jahre online.
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