// »The Undergrounds Nico, the Velvet Undergrounds Nico, Andy Warhols Nico, live in the studio – Nico!« Alle Welt dreht sich um die Tochter einer Schneiderin. Ihr Sohn Ari, dem Alain Delon bis heute die Vaterschaft abspricht, erzählt, seine Mutter sei einfach die Schönste gewesen im ganzen Land. Eine Märchenexistenz irgendwo zwischen Warhol und Wagner.
Nico war besessen von ihren Spiegelbildern und verabscheute es zugleich, schön genannt zu werden. Das Kölner Museum für Angewandte Kunst ehrt die große Tochter der Stadt, die später keinerlei Beziehung zu ihr hatte, im Jubiläumsjahr mit einer Ausstellung, die Nicos Vielgesichtigkeit in einer Art Spiegelkabinett aus Magazinen, Plattencovern und Filmausschnitten reinszeniert. Für den Kurator der Schau, Uwe Husslein vom Pop Archiv Köln, ist sie eine »Schnittstelle für die Pop-Geschichte einer ganzen Generation.«
Der einzige Pop-Star, den Deutschland je hatte, wurde 1938 unter dem bürgerlichen Na-men Christa Päffgen in Köln geboren. Als junges, nicht anerkanntes Kind des Päffgen-Familienclans kommt sie nach Berlin, wächst dort in einer Trümmerlandschaft auf. Mit 16 Jahren wird sie als Fotomodell entdeckt, 1954 verlässt sie die Schule und arbeitet als Mannequin für den Modezar Heinz Oestergaard. Ihre Karriere zieht sie nach Paris, wo sie für Coco Chanel posiert. Nico – eine Titelbildschönheit, die die Elle oder das Life Magazine ziert. Während der Dreharbeiten zu Federico Fellinis Film »La Dolce Vita« (1961) lernt sie Alain Delon kennen. Die erste Hauptrolle ergattert sie in »Striptease« (1962), einer Art halbseidenem Fotoroman, für den sie ihre Zähne und ihr Französisch perlen lässt.
Kraft ihrer Schönheit startet sie dann auch ihre Pop-Musikkarriere. In London kommt sie mit Bob Dylan in Kontakt, die Rolling Stones produzieren ihre erste Single. Schließlich wird sie zur Muse Andy Warhols. »Also ich habe in New York gelebt seit 1959. Ich nahm Schauspielunterricht. Marilyn Monroe war in meiner Klasse. Bob Dylan hat mich bei Warhol eingeführt, er wollte mich einfach durch diese Linse sehen«, sagt sie selbst in dem Film-Portrait »Nico Icon« von Susanne Ofteringer, der im Rahmenprogramm der Ausstellung gezeigt wird.
Warhol sammelte Archetypen. Nico war seine Mondgöttin. Weiße Kaschmirjacke aus London, Hände wie Milch und Glas. Sie wird zum Requisit in Warhols Wanderzirkus; die »Factory«, ein Gesamtkunstwerk aus Mixed Media und Travestie, ist ihre Bühne. Augenaufschläge in slow motion. Wimpern, die lang sind, unnatürlich lang, und Lippen, die voll sind – aber trocken. Nico, das »Chelsea Girl«, die Projektionsfläche. Noch erscheint ihr das als Paradies. Der Film, so vertraut sie vorab einem Interviewer an, spiele in einem Schrank. Das sei ihre Idee gewesen. Ob sie glaube, dass sich das Leben im Schrank abspielen sollte? »Ja! Das Leben ist ja ein Schrank sozusagen.«
Warhol will ihr Erzengelantlitz hinter Glas sehen, sie singen lassen und macht sie zur Sängerin von Velvet Underground. Die musikalischen Egos Lou Reed und Cohn Cale produzierten damals noch bei Aufführungen von experimentellen Filmen hinter der Leinwand live ihren amphetamingetriebenen Sound. Während die Band auf der Bühne ihren musikalischen Sado-Masochismus praktiziert, spielt Nico Tambourin. Sie singt, aber sie spricht nicht. Aus Oberflächlichkeit, oder aus Tiefsinn. Zu dieser Zeit dominiert überall in New York die als Coolness getarnte Einsamkeit. Reed, damals noch ein verkrachter Underdog, verehrte dem Top-Modell drei Songs, ehe er sie aus der Band ekelte. Sie glaubt, dass der Grund dafür darin zu suchen sei, dass sie Deutsche war und er einer jüdischen Familie entstammte. Die Wahrheit aber war viel banaler: Er wollte nicht, dass sie ihm die Show stiehlt.
Nico beginnt, ihre Schönheit als Fluch zu betrachten. Fortan verweigert sie sich den Verwertungsmechanismen der Musikindustrie. Gleichzeitig ringt sie um einen eigenständigen künstlerischen Beitrag, färbt sich die Haare dunkel und erfindet einen ganz eigenen Musikstil. Dabei hat sie eine aufreizende Art zu singen. Mit einer samtigen Bassstimme, die in Frequenzen jenseits der Hörgrenze reicht, bringt sie ihre surrealistischen Klagen zu Gehör. Leonard Cohen kommt zu jedem ihrer New Yorker Konzerte, um sich an ihrem Anblick und ihrer Melancholie zu ergötzen, und er widmet ihr einen Song (»Joan of Arc«).
Aber es ist ein anderer Mann, dem sie lebenslang zu Füßen liegt, den sie buchstäblich angebetet hat, abends, bevor sie zu Bett ging. Es war Jim Morrison von den Doors, der seine enge Lederhose und die peitschenhiebartigen Bewegungen vom Velvet Underground-Tänzer Malanga abgekupftert hatte, den sie »fuckable« und zugleich als Künstler tief beeindruckend fand.
Bei einem Konzert von Velvet Underground in Los Angeles sind die Doors im Publikum. Als Nico und Morrison sich zum ersten Mal gegenüberstanden, sollen sie sich lange stumm angesehen und dann in einer seltsamen Art und Weise umklammert haben: zwei verehrungswürdige Monster, die darum streiten, wer das poetischere von ihnen ist. Von Los Angeles aus fahren sie in die Wüste, um sich gegenseitig mit der psychoaktiven Kaktusfrucht Peyote zu füttern und sich die bewusstseinserweiternden Verse William Blakes vorzulesen. Gut einen Monat währt ihr psychedelischer Liebesrausch, in dem Morrison ihr die Erlaubnis erteilt, selbst Lieder zu schreiben.
Sie liebt Jim Morrison und ist süchtig nach Heroin. Die Drogenkarriere bedeutet gleichzeitig ihren künstlerischen Abstieg. Hier verdüstert sich die Ikone am meisten: Nico, eine Mutter, die ihr Kind anfixt. Ein Kind mit lockigem Haar schluckt alles, was von den Exzessen der Drogen-Szene übrig bleibt: Wodka-Reste, Pillen mit schönem Orangengeschmack, die er in der Handtasche seiner Mutter findet. Ari sitzt auf den Knien von Andy Warhol, reitet auf den Schultern von Bob Dylan. Und in seiner Unschuld dient er bei Drogenrazzien der Polizei als Tarnung. Wenn Ari schreit, sperrt sie ihn in einen Schrank.
In den 70er und 80er Jahren tingelt sie mit einer Band namens The Faction durch die Peripherie des Musikgeschäfts. Sie haust in schwarz verhängten Löchern, wäscht sich nicht, ernährt sich von Vanillepudding. Zigarettenrauch und der Gestank von gekochtem Heroin erfüllen die winzige Wohnung. »Ich muss nicht rausgehen um draußen zu sein. Ich kann mich in einer kleinen Zelle genauso fühlen. Ich bin gerne eingesperrt.«
Aber noch immer hat sie das Charisma, ein Publikum in ihre dunkle Umarmung zu ziehen. Die männlichen Bandmitglieder drehen sich um sie wie Planeten in der Umlaufbahn.
Ob Drogen-Tunnelblick oder mystische Entrücktheit. Im Grunde war sie genau dann in ihrem Element, wenn sie allein an ihrem Harmonium saß. Mit all ihren Anleihen aus Volksmusik und Bach-Chorälen, mit einer Stimme aus Kerkertiefen, die einer Wagner-Parodie nahe kam. »Ich hätte gerne, wenn sich meine Stimme so wenig menschlich anhören würde wie möglich.« Sie umgab sich mit einer Aura des Morbiden und betonte damit ihre Fremdheit auf dieser Welt. Vielleicht hat diese Frau darum in der Punk- und New Wave-Szene der 70er und 80er ihre treusten Anhänger gefunden, noch immer zehrend von ihrem einstigen Ruhm, den ihr Auftritte in Manchester, Berlin und Tokio verschafften.
Bilder einer Ausstellung: Nico als Ikone, Nico als Freak. Sie hasste die Menschen nicht, sie war nicht in der Lage zu hassen, ebenso wenig wie Beziehungen einzugehen. Früher hatte man sie angestarrt. Jetzt starrt sie in die Menge, ihre Augen wie vor Entsetzen geweitet. Ihr Anblick ist kaum mehr zu ertragen. Von nahem betrachtet sieht jetzt alles anders aus, das lange blonde Haar des »Chelsea Girl« ist jetzt grau, ihre Gesichtshaut schlaff, Hände und Arme verkrustet und vernarbt von den Einstichen, die Augen wie gebrochene Spiegel.
Sie schämte sich keineswegs, nicht mehr Warhols schöne Kreatur zu sein. Die Wundmale machten sie in ihren Augen zu einer Art Märtyrerin. Die letzten zwei Jahre war sie clean und schrieb an ihrer Autobiografie. Als sich gerade die Zeichen für eine künstlerische Wiederbelebung verdichteten, starb Nico 1988 nach einem Fahrradunfall auf Ibiza an einer Hirnblutung. Über seinen Abschied von der toten Mutter schreibt der Sohn Ari in seinem Erinnerungsbuch: »Ich küsste ihre Stirn, dann ging ich hinaus und kotzte hinter ein Auto.« Ihre Asche wird im Grab ihrer Mutter beigesetzt. Zur Beerdigung in Berlin kommt keiner ihrer alten New Yorker Gefährten. Zu cool. Cool ist, wenn man tot ist. //
»Nico – Köln, Berlin, Paris, New York – Stationen einer Pop-Ikone«, bis 1. Februar 2009 im Museum für Angewandte Kunst, Köln. www.museenkoeln.de/museum-fuer-angewandte-kunst