// Der Titel klingt nach Love Story. Zumindest handelt es sich bei der »Kölner Affäre«, wenn nicht um eine Liebesgeschichte, so doch um eine Beziehung. Eine ungewöhnliche Beziehung. Der Regisseur Alvis Hermanis hat vier Schauspieler auf die Suche nach vier Menschen in ihrer Stadt geschickt. Möglichst alltägliche Leute sollten es sein, falls es das denn gibt; physisch stabil, keine Künstler und eher allein lebend. Hinter der Tatsachen-Recherche steht eine exklusive Idee, dass nämlich die Essenz des Menschlichen auf der Ausnahme beruht. Die Bühne zur Wirklichkeit des Scheins zu machen, hieß konkret, lange Tonband-Protokolle zu einem Erzählmanuskript umzuarbeiten. Man darf das Ergebnis schon ein Stück Literatur nennen, vielleicht aus dem Geist des Spurensuchers und Geschichts-Sammlers Alexander Kluge.
Die Schauspielerin Julia Wieninger tritt in der Halle Kalk vor den Bühnenkasten mit WG-Landschaft und erstattet Bericht: von Hannah, einer Frau, die Stadtführungen organisiert (alle Namen wurden geändert). Biografie: ein Spiel der Nacherzählung in der Tradition mündlicher Überlieferung. Greifbare Dinge, Gebrauchsgegenstände machen das Erzählte anschaulich. Hannahs »Text« wird musikalisch untermalt von Hildegard Knef und Freddy Quinn, weil es für sie rote Rosen regnen sollte und das Fernweh sie trieb. Es ereignet sich kein sonderlich aus dem Rahmen fallendes Leben. Gerade in seiner Normalität entwickelt es konzentrierte Spannung. Zugleich bringt es eine melancholische Stimmung des Unwieder- bringlichen hervor.
Die drei anderen Fälle sind spektakulärer. Die dankbarste Rolle in dem Ensemble-Quartett hat vermutlich Markus John, der sich ein Original namens Foxie angelacht hat. Ein Typ mit Hackepeter-Geruch; ehemals Koch und Kneipier, derzeit Mietewagenfahrer. Ein ziemlicher Filou. Er lässt Siebene gerade sein, hat den Hang zur Rotlicht-Szene und kräftig über die Stränge geschlagen. Neben mancherlei »Tralala« saß er einige Jährchen Knast ab. Sein Interpret macht es sich wohlig breit in Foxies halbseidenem Leben: behäbig, rheinisch gemütvoll, schlitzohrig. Ein Virtuosenstück, reell und doch hart an der Grenze zur Karikatur. So blickt man auch in die Werkstatt des Schauspielers und auf seine Techniken.
Ilknur Bahadir geht es distanzierter an. Sie hat eine junge Serviererin auserkoren. Ein Emigrantenschicksal. Nastassja ist aus der Ukraine geflüchtet: Wohnheim, Jobsuche, Mutterschaft mit 19, gescheiterte Verbindung zum Kindsvater, schwierige Erziehung des Sohnes. Ihr Glück findet sie im Kulinarischen, beim Kochen, Backen und Ausprobieren von Rezepten fürs Café. Klingt bescheiden, offenbart aber eine Hingabe an den Beruf, der ihr Halt gibt. Es zeigt sich Nastassjas Energie, Eigenwille, tastende Beständigkeit und rigorose Eintracht mit sich selbst, die eine labile Balance offenbart.
Juris Baratinskis erzählt von sich selbst. Ein Leben »auf der Rasierklinge« – und münchhausenhaft. Ebenfalls aus Riga, hat er Stationen als Moskauer Überlebenskünstler mit falschem Pass, Schmuggel und KGB-Verfolgung hinter sich. Dank einer Scheinehe kann er in den Westen. Im Gepäck zwei Koffer voll Kaviar und Havanna-Zigarren. Auf ihn wartet eine leidenschaftlich zerstörerische, späte eine spirituelle Liebesbeziehung. Katharsis brachte ein buddhistisches Kloster in Birma.
So wie Juris seinen Geist säubert, Foxie weich und brav wird, Hannah sich bettet und emanzipiert, Nastassja ihr Patentrezept findet, scheint am Ende das von der Knef vorgesungene »Ich will« zum »Ich kann« mutiert zu sein. Die »Affäre« schließt unter Einsatz mobiler Kulissen vom lokalkolorierten Köln in schönster Harmonie. Trost der Realien. Es bleibt das Positive. Bei jeder Episode geht es, so oder so, um alles oder nichts. Bruchstellen gibt’s reichlich. Gefühlsknoten schlingen sich, Schmerzwellen kommen und gehen. Zwar hat man nie den Eindruck einer Verlegenheitslösung, wohl aber den des harmlos Unverbindlichen, auch wenn sich Motivketten zwischen den im Wechsel vorgetragenen Geschichten ziehen. Familiäre Strukturen und Konflikte von Mann und Frau, Verluste und Trennungen sind halt zentrale Gelenkstellen. Man schaut und hört einem Drama zu: nur, dass zuerst der Mensch kommt und danach der Schauspieler. // AWI