Das Pina Bausch Zentrum in Wuppertal nimmt endlich Konturen an – zumindest in den Köpfen und auf dem Papier. Im ehemaligen Schauspielhaus von Gerhard Graubner plus Neubau soll es als »grüne« Kultureinrichtung Modellcharakter erhalten. Dazu lädt Intendant Boris Charmatz im Mai ins »Wundertal« zu seinem ersten Großevent. Was genau ist geplant? Und wie geht es konkret voran? Ein Gespräch mit Bettina Milz, die die Vorbereitungsphase bis zur Eröffnung 2027 koordiniert und leitet.
kultur.west: Frau Milz, was passiert gerade in Wuppertal?
MILZ: Wir haben die große Chance, eine Kunst- und Kultureinrichtung ganz neu zu erfinden. Basis ist das visionäre Werk von Pina Bausch. Es entsteht der weltweit einzige Ort, der dem Werk einer herausragenden Choreografin gewidmet ist. Dazu kommt seit dieser Spielzeit Boris Charmatz‘ Arbeit an neuen Formaten.
kultur.west: Was heißt das konkret für den Sachstand des 84-Millionen-Bauvorhabens? Es zieht sich ja…
MILZ: Das hochkarätige Preisgericht des internationalen Architektenwettbewerbs geht in die letzte Stufe und wird im Sommer die drei Siegerentwürfe küren. Danach geht die Planung ins Detail – Finanzierung, Bau, Landschaftsarchitektur, Umfeld, Elektrik, Wasser, Heizung. Wenn man Kostenexplosionen in der Bauphase verhindern will, setzt das eine gute Planung voraus.
kultur.west: Und inhaltlich?
MILZ: Es geht um vier Handlungsfelder: das Tanztheater Wuppertal, die Foundation mit dem Pina Bausch Archiv, die Internationale Produktion und das Labor für partizipative Arbeitsformen. Dieses Modell, das auf dem Konzept von Stefan Hilterhaus von PACT Zollverein beruht und bindende Grundlage ist für den 40-Millionen-Zuschuss des Bundes, wurde aus der Arbeitsweise von Pina Bausch heraus entwickelt. In der Vorlaufphase »under construction« werden Formate erprobt.
kultur.west: Wie sieht die Finanzierung aus?
MILZ: Die konkreten Zahlen können erst mit der Entscheidung für die Architektur ermittelt werden, die ja mit einem Kostenrahmen ausgeschrieben wurde. Geplant ist, dass der Bund 50 Prozent übernimmt, Stadt und Land sowie Förderer und Sponsoren gemeinsam die anderen 50 Prozent.
kultur.west: Inwiefern ist das Konzept aus Pina Bauschs Arbeitsweise heraus entstanden?
MILZ: Ihre Neugier für andere Menschen und andere Kulturen ist ein zentraler Baustein ihrer Arbeitsweise. Sie hat oft in Strukturen gearbeitet, die wir heute Residenzen nennen: Viele ihrer Premieren sind in Kooperation mit anderen Ländern vor Ort entstanden. Sie hat Tanzfestivals veranstaltet und dazu Künstler*innen aus aller Welt eingeladen. Und was die Partizipation angeht, sind die großen Vorbilder ihr »Kontakthof mit Damen und Herren ab 65 « und »Kontakthof mit Teenagern ab 14«. Pina Bausch hat schon sehr früh in diese Richtung gedacht.
kultur.west: Inwiefern nimmt das Gebäude selbst diesen Geist auf?
MILZ: Der Bau wird so gestaltet, dass die Teilhabe als strukturelle Grundlage mitgedacht wird. Das Foyer soll in einer großzügigen Geste ganztägig geöffnet sein. Die jungen Leute werden ihren Raum haben wie auch alle Generationen und Menschen sämtlicher Kulturen, die wir hier in Wuppertal haben. Wir wollen die Tanzkunst für möglichst viele erfahrbar machen.
kultur.west: Die verschiedenen Bereiche kooperieren sehr eng. Die Foundation vergibt Lizenzen an andere Kompanien in aller Welt, Tanztheater und Foundation entsenden gemeinsam Probenleiter*innnen dorthin…
MILZ: Das beste Beispiel ist der Tripple Bill im Januar 2023. Es war der erste große gemeinsame Beitrag von Foundation und Tanztheater in Zusammenarbeit mit dem Sinfonieorchester zur Vorbereitung des Pina Bausch Zentrums. Charmatz hat mit »Café Müller« erstmals ein Schlüsselwerk neu einstudiert. Und mit »common ground(s)« der Tanzlegenden Germaine Acogny und Malou Airaudo sowie Pinas »Das Frühlingsopfer« mit Tänzer*innen aus 14 afrikanischen Ländern ist der Abend eine wunderbare internationale Kooperation.
kultur.west: Die Kulturstiftung des Bundes fördert das Pina Bausch Zentrum als eines von 25 klimaneutralen Kunst- und Kulturprojekten im Rahmen des Fonds Zero. Welche grünen Maßnahmen sind geplant?
MILZ: Durch die Förderung können wir eine Nachhaltigkeitsstrategie mit dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und dem Szenerografie-Bund erarbeiten. Wir haben dafür zunächst eine CO2-Bilanz errechnet. Der Fonds ermöglicht uns, neben der architektonischen auch eine inhaltliche Nachhaltigkeit vorzubereiten. Denn das Pina Bausch Zentrum soll ein Best-Practice-Beispiel werden.
kultur.west: Das heißt konkret?
MILZ: Wir haben einen Altbau und einen Neubau. Ökologische Maßnahmen scheitern bei Altbauten oft am Denkmalschutz. Aber durch diese Kombination eröffnet sich die Möglichkeit, Maßnahmen wie Solarkollektoren am Neubau anzubringen und im besten Fall einen Plus-Energiestatus herzustellen.
kultur.west: Wie sehen die grünen Pläne aus?
MILZ: Wir werden in den nächsten Jahren die Ökologie und 17 Nachhaltigkeitsziele insgesamt in den Blick nehmen. Themen sind Baumaterialien, Versiegelung, grüner Raum in den Innenstädten, aber auch der Betrieb selbst. Bei den Szenografie-Workshops geht es um die Möglichkeiten von Innovation und Kreislaufwirtschaft, aber auch um andere Produktionsweisen im Theater – insbesondere bei Bühnenbild und Raum. Es ist ein Prozess, der Zeit und Ressourcen braucht.
kultur.west: Bei Tanzensembles, und gerade beim Tanztheater Wuppertal, sind die weltweiten Gastspielreisen besonders klimaschädlich…
MILZ: Grundsätzlich kann es nicht darum gehen, dass wir keine Gastspielreisen mehr unternehmen, keine Festivals mehr veranstalten, es geht um das Wie. 13 Vorstellungen des Tanztheaters in der Brooklyn Academy of Music in New York wie zu Jahresbeginn, davor Ottawa und Montreal, sind schon ein positives Beispiel aus der Praxis.
kultur.west: Man kann bei Kulissen und Kostümen viel mit modularen Elementen tun. Das Tanztheater Münster geht sehr konsequent diesen Weg…
MILZ: Genau, es kann auch lustvoll sein, sich mit den Herausforderungen der Gegenwart zu befassen. Wenn man Elemente aus anderen Häusern verwendet, muss man weniger entsorgen. Unser ökologischer Fußabdruck in der Kunst ist verglichen mit einem großen Autoproduzenten gering, aber unser Potenzial sind die Narrative. Und wir haben eine Vorbildfunktion.
kultur.west: In diesem Monat lädt der neue Intendant zu seinem ersten Großprojekt ins »Wundertal«.
MILZ: Für den Start in der Sonnborner Straße unter der Schwebebahn haben wir etwa 650 Bewerbungen auf die 200 Stellen für Tanzbegeisterte aus Wuppertal und weit darüber hinaus bekommen. Die Altersspanne reicht von 13 bis 88 Jahren.
kultur.west: Was genau ist in dieser Event-Woche geplant?
MILZ: Das Performance-Projekt auf der Sonnborner Straße ist vergleichbar mit einem Happening, das Charmatz 2021 beim Manchester-Festival realisiert hat. Tänzer*innen des Ensembles werden gemeinsam mit den 200 Mitwirkenden arbeiten. Darüber hinaus ist Charmatz zweimal in seinem Solo »Somnole« im Schauspielhaus zu sehen. Dort findet auch »A Dancer’s Day« statt, bei dem das Publikum den Vorbereitungsprozess eines Tänzers/einer Tänzerin vom Warm Up bis zur Vorstellung in der Oper mitmacht. Außerdem werden vier Vorstellungen von »Palermo Palermo« gespielt.
kultur.west: Wird Boris Charmatz das Pina Bausch Zentrum leiten?
MILZ: Who knows? Aber es wäre großartig, wenn jemand wie er es leiten würde.
WUNDERTAL
Das Großprojekt »Wundertal« startet am 21. Mai um 15 Uhr in
der Sonnborner Straße.
Somnole: 24. und 25. Mai, Schauspielhaus
A Dancer’s Day: 27. und 28. Mai, Schauspielhaus/Opernhaus
Palermo Palermo: 26., 27., 28. und 29. Mai
Bettina Milz
…ist Jahrgang 1959 und studierte angewandte Theaterwissenschaft an der Universität in Gießen, unter anderem bei George Tabori und Heiner Müller. Nach Arbeitsaufenthalten in New York und Wien übernahm sie Dramaturgien, künstlerische Leitungen und Geschäftsführungen, unter anderem in Stuttgart und Frankfurt am Main. Seit 2009 ist Milz (Foto: Thomas Rabsch) Referatsleiterin für Theater und Tanz im NRW-Kulturministerium. Seit 2021 ist sie freigestellt, um als inhaltliche Koordinatorin das Projekt Pina Bausch Zentrum bis zur Eröffnung 2027 zu organisieren.