TEXT: STEFANIE STADEL
Fünf Männer, fünf Frauen, zwölf Matratzen – mehr braucht es nicht für das Stück. Etwas Großes tut sich auch nicht on stage. Die Handlung von »Parts of Some Sextets« beschränkt sich auf ziemlich gewöhnliche Verrichtungen: Eine spaziert, andere balancieren. Das Paar mittendrin posiert in loser Umarmung. Während die Akteure dahinter sich im Matratzenstapel zu schaffen machen. Der eine mit hochgekrempelten Hemdsärmeln muss Robert Rauschenberg sein – die Bühnenaufnahme zeigt, wie er eines der sperrigen Polster zur Wurst rollt.
Glaubt man den Fotos im Museum Ludwig, muss es eine recht geschäftige, dabei aber völlig undramatische Tanz-Performance gewesen sein, mit der Yvonne Rainer 1965 in Hartford, Connecticut, ihr Publikum vor den Kopf stößt. »Kein Rhythmus, keine Betonung, keine Anspannung, keine Entspannung«, so beschreibt sie selbst das Geschehen. »Man tut es einfach.« Nicht nur einmal, sondern wieder und wieder werden die Tätigkeiten abgespult nach genau vorgegebenem Muster. Handlung und Ausdruck, Trikot, Tutu, Kostüm, Maske – alles fehlt dabei. Die Choreografin kleidet ihre Tänzer in Jeans, Turnschuhe, T-Shirts oder Hemden mit gekrempelten Ärmeln, um sie betont alltägliche Dinge tun zu lassen. Eine Umwälzung der Tanzästhetik, und nicht nur das.
Inzwischen weiß man, was Rainer mit solchen Einfällen gattungsübergreifend bewirkt hat. Und wundert sich deshalb vielleicht, dass die tanzende Revolutionärin bisher allenfalls am Rande in Erscheinung getreten ist. Es hat sicher damit zu tun, dass ihre flüchtige Kunst nicht gemacht ist und nie gedacht war für Revision im Museum. Dass es immer ein Wagnis bedeutet, sie dort zu verewigen, weil dies grundsätzlich die Gefahr birgt, ihr Wesen zu untergraben.
Mit Blick und Bewusstsein des 21. Jahrhunderts scheinen sich solche Bedenken allerdings zunehmend zu legen. Man weiß, welch wegweisende Rolle die hybriden Kunstäußerungen der 60er Jahre spielten – und spielen. Man erkennt, wie wesentlich das alles, besonders auch für bildende Künstler, noch immer ist. Und wagt sich in jüngerer Zeit immer öfter heran. Paul Theks posthumer Auftritt im Duisburger Lehmbruck Museum bietet ein aktuelles Beispiel. Die große Werkschau aufs Schaffen des Fluxus-Pioniers Wolf Vostell vor zwei Jahren in Leverkusen ein etwas älteres.
Was Rainer angeht, liegt der Fall aber noch etwas spezieller – ist ihr Schaffen doch in den Disziplinen Tanz und Film verankert. So musste die Amerikanerin denn auch 77 Jahre alt werden bis zu ihrer europaweit ersten umfassenden Retrospektive, die in Bregenz gestartet ist und jetzt in Köln Halt macht. Fotos und Filme, Plakate, Partituren, Notizbücher rekonstruieren da das Werk der 1934 in San Francisco geborenen Tänzerin, Choreografin, Theoretikerin, Dichterin, Filmemacherin, Aktivistin … Bildende Künstlerin steht nicht auf der langen Liste, die es braucht, um Rainers Tätigkeitsfelder abzustecken.
Bevor man sich aber nun fragt, wie diese Werkschau sich ins Kunstmuseum fügen mag, steckt man schon mitten drin in der New Yorker Szene der 60er Jahre – wo so vieles zusammenkommt, sich bedingt und durchdringt. Rainers radikale Choreografien sind eingebettet in jene Szene, die das gattungsübergreifende Experiment liebt.
1957 bereits ist sie hierher gekommen, nach New York, um Tanz zu studieren. Die 23-Jährige wählt sich die legen-däre Martha Graham und den jungen Merce Cunningham zu Lehrern. Doch weder der von Graham gepflegte Ausdruckstanz, noch Cunninghams Improvisationen fielen bei ihr auf fruchtbaren Boden. Sie bestellte ihr Feld nach eigenen Regeln und gründete dazu 1962 zusammen mit Freunden das Judson Dance Theater, eine Keimzelle der New Yorker Avantgarde-Szene. Die Tanz-Profis machten hier selbstverständlich gemeinsame Sache mit Musikern, Filmemachern, Dichtern, bildenden Künstlern.
Das Miteinander ist ein Muss in diesen Kreisen: Der Minimal-Meister und Rainers zeitweiliger Lebenspartner Robert Morris tanzt mit, Rauschenberg rollt Matratzen, Carl Andre bastelt Requisiten. Denn sie alle fühlen sich angetrieben von denselben Ideen.
Rainer vergleicht ihre Arbeit einmal mit Werken der Minimal Art. Und so fern liegt der auch nicht – etwa mit Blick auf Carl Andres Felder aus quadratischen Metallplatten, die ebenso wie Rainers Tanzstücke jede Art von Spektakel oder Überwältigung vermeiden. Stattdessen auf Sachlichkeit und Wiederholung bauen. Auf die Wechselwirkungen von Raum, Körper, Objekt. Und auf Aktion – bei Rainer die des Tänzers, der nicht länger durch seine Körperbeherrschung beeindrucken soll, sondern als eine Art bewegte Skulptur wahrgenommen werden will. Und bei Andre die des Betrachters, wenn er die flachen Platten auf dem Boden betritt, sich auf ihnen durch den Raum bewegt.
Das Gefühl der Verbundenheit geht so weit, dass Andre 1966 eigens für Rainer Styropor-Kuben schnitzt, die im Stück »Carriage Discreteness« von den Tänzern regelgerecht bewegt werden sollen. Rainer will die Performer von einer erhöhten Plattform aus per Funkgerät instruieren. Leider funktioniert das aber nicht. »Mein Stück war ein Fiasko«, gesteht sie.
Besser glückt noch im selben Jahr der minimalistische Klassiker »Trio A«. Die Schau im Museum Ludwig präsentiert ein Filmdokument: Rund fünf Minuten lang kann man der ungerührten Akteurin da bei der Ausführung ihrer tänzerischen Aufgaben zuschauen. Wie am Fließband erledigt sie das Pensum: Hüpfen, hocken, stehen, strecken, gehen; alles schön der Reihe nach. Armkreisen, Beinschwingen, Kopfschütteln. Hinlegen und gleich wieder aufrichten.
Nahtlos gehen ihre Bewegungen ineinander über. Ohne Pause, ohne Erzählung, ohne Höhepunkt. Offenbar ohne größere Anstrengung. Ohne emotionales Moment und auch ohne Blickkontakt zum Publikum. Selbstverloren – das ist Rainer ganz wichtig. Möchte sie doch den Zuschauer dazu bringen, »die Bewegung in ihrer Objekthaftigkeit zu sehen und nicht als Ausdruck der Persönlichkeit des Tänzers, wie sie sich im Gesicht zeigt«.
Sie weiß genau, was sie alles heraushalten will aus ihrem Tanz. Und listet alles bereits 1965 im NO-Manifest. »NEIN zu Spektakel, nein zu Virtuosität, nein zu Transformationen, Magie, Täuschungen, nein zu Glamour. Nein zum Heroischen, nein zum Anti-Heroischen …«. Gegen politisches Engagement hat Rainer erwartungsgemäß nicht einzuwenden. Im Gegenteil. Wiederholt wird sie sogar persönlich aktiv. 1970 etwa, als sie Partei ergreift für einen New Yorker Galeristen. Man hat ihm vorgeworfen, dass Werke in seiner Galerie die amerikanische Flagge »entweihen« würden. Rainer bringt daraufhin ihr berühmtes »Trio A« in einer aufreizenden Abwandlung auf die Bühne. Gleich mit einer ganzen Gruppe von Tänzern, die nichts als das US-Banner um den Hals tragen.
Rainers Nein-Prinzipien bleiben gültig, auch nach ihrem Wechsel zu Film, der deshalb keinen echten Bruch bedeutet – auch davon erzählt die Schau mit Kostproben aus ihren im Stil dokumentarischen, in der Machart experimentell anmutenden Spielfilmen.
Schön dass Rainer im Jahr 2000, nach fast drei Dekaden der Abstinenz, wieder zurückkehrt zum Tanz. Gut auch, dass Kölns Museum Ludwig ihr Werk nun im ganzen großen Kontext zur Geltung bringt. Mit einer Ausstellung, die Rainers flüchtiger Kunst sehr wohl gerecht wird. Die nicht zu viel inszeniert, sich aber auch nicht auf trockene Dokumentation versteift. Die Rainer eine pointierte Position innerhalb der amerikanischen Avantgarde der 60er Jahren sichert und außerdem von dort aus noch ein paar Fenster zur Gegenwart öffnen kann. Zu Künstlergrößen wie Tino Sehgal, Roman Ondak, Michele di Menna und ihren performativen Arbeiten, die während der letzten paar Jahre in die Sammlung des Museums kamen. Rainer ist und bleibt aktuell – offenbar besonders für bildende Künstler.
Bis 29. Juli 2012; Tel. 0221/22126165. www.museum-ludwig.de