TEXT: KATRIN PINETZKI
Jede Stadt, ob Metropole oder nicht, hat diese gewissen Ecken, dieses Niemandsland, das irgendwann einmal Bedeutung hatte, heute aber seiner Funktion beraubt einfach nur da ist. Solche Orte gibt es überall, ob in Metropolen, Touristenzentren – oder eben in Duisburg, genauer: Duisburg-Ruhrort. Dorthin wandert Mitte August das Kunstprojekt »Nomanslanding«, das zuvor im australischen Sydney und im schottischen Glasgow zu sehen, zu begehen, zu hören, zu erleben war. Eine Installation, zugleich ein Stück soziale Kunst.
Duisburg-Ruhrort… Die allererste »Tatort«-Folge mit Götz George als Horst Schimanski wurde dort gedreht und trug den Namen des Stadtteils im Titel. Ruhrort liegt rechtsrheinisch, hier vereinen sich Rhein, Ruhr und Rhein-Herne-Kanal. Anno 1848 schloss die Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft Ruhrort ans Eisenbahnnetz an, seitdem ging’s bergauf. Heute ist Duisburg die wichtigste Hafenstadt für das ganze Ruhrgebiet, die Ruhrorter Häfen bilden sogar Europas größten Binnenhafen. Der ehemalige Eisenbahnhafen, den die Kuratoren Katja Aßmann (Urbane Künste Ruhr), der Australier Michael Cohen und der Schotte Lorenzo Mele für »Nomanslanding« ausgesucht haben, ist allerdings ein Industrierelikt: Einst war er Fährhafen, der die Zuglinien auf beiden Seiten des Rheins miteinander verband – bis eine Brücke gebaut wurde. Heute liegen Sportboote im Hafenbecken, kleinere Reparaturwerften haben sich angesiedelt. Eine Promenade längs des Nordufers führt bis zur Deichstraße und dem Binnenschifffahrtsmuseum. Dort also dockt »Nomanslanding« an, die Landung im Niemandsland.
Eigentlich liegt das, was als Niemandsland verstanden werden will, mitten im Wasser. »Nomanslanding« erschafft einen neuen Ort zwischen zwei Uferseiten und ermöglicht Begegnungen: Von beiden Seiten des Ufers können sich je ca. 20 Besucher in je eine offene Muschel, eine Halbkugel stellen, die sich langsam vom Ufersteg aus in Richtung des gegenüberliegenden Ufers bewegt.
In der Mitte treffen die Halbkugeln und treffen unbekannte Menschen aufeinander, die Hälften schließen sich zur Kugel, zu einem »Flüsterdom«. Denn im nun entstehenden, etwa sechs Meter hohen Raum, der sich allmählich verdunkelt, gibt es eine Multimedia-Sound-Performance, Live-Musik inklusive. Historische Zitate und Assoziationen spielen auf die kollektive Geschichte der drei Hafenorte an und holen die Vergangenheit der Hafenregionen während der beiden Weltkriege und des Industriezeitalters ins Bewusstsein.
»Eine poetische Interpretation der Erfahrungen, die Soldaten während des Ersten Weltkriegs gemacht haben«, erlebte die Autorin eines australischen Blogs während der 30-minütigen Performance. In Sydney fiel in die Zeit, in der »Nomanslanding« zu sehen war, auch der 100. »Anzac Day«, der Gedenktag an die die verlustreiche Schlacht von Gallipoli, mit der Australien in den Ersten Weltkrieg eintrat – ein Tag, um den sich der nationale Gründungsmythos rankt, Australiens inoffizieller Gründungstag. In Duisburg werden die Bezüge zum Ersten Weltkrieg, von denen in der Projektbeschreibung die Rede ist, sicher deutlich schwächer ausfallen. Die Installation sei »ein Versuch, metaphorisch die uns vom Fremden trennende Kluft zu überbrücken und eine Begegnung auf gemeinsamem Terrain zu ermöglichen«, heißt es – keine schlechte Idee in der Stadt, die seit Jahren mit dem Zuzug Tausender Zuwanderer aus Südosteuropa umzugehen hat.
»Nomanslanding« ist eigentlich ein Paradoxon: ein Projekt, das ortsspezifisch sein will, aber trotzdem an mehreren Orten funktionieren muss, in drei Ländern auf zwei Kontinenten. Die Chancen stehen gut, dass das klappt – zum einen wegen der Gemeinsamkeiten, die Sydney, Glasgow und Duisburg dann doch haben: Alle drei Hafenstädte beschäftigen sich damit, wie sie die Stadt ans Wasser und das Wasser an die Stadt anbinden – und was das Wasser für die städtische Geschichte, aber auch Entwicklung bedeutet. Zum anderen wegen der unterschiedlichen Schwerpunkte und Assoziationen, die die gleiche Installation an den drei Orten erlaubt. Und außerdem, weil »Nomanslanding« von vornherein als gemeinsames Projekt gedacht und kuratiert wurde. Beteiligt sind fünf Künstler: Die Australier Robyn Backen, Nigel Helyer und Jennifer Turpin, der Schotte Graham Eatough und André Dekker aus den Niederlanden, der mit seiner Rotterdamer Künstlergruppe Observatorium schon 2010 bei der Emscher-Kunst im Ruhrgebiet aktiv war (»Warten auf den Fluss«) und aktuell in Dorsten den neuen LippePolderPark zwischen Lippe und Wesel-Datteln-Kanal entwickelt.
»Nomanslanding« vom 15.8. bis 13.9 im Eisenbahnhafen Duisburg, täglich von 14 bis 23 Uhr. Ein Durchgang dauert ca. 30 Minuten. Der Eintritt ist frei. Das Projekt ist eine Zusammenarbeit zwischen Glasgow Arts/Merchant City Festival, der Sydney Harbour Foreshore Authority und Urbane Künste Ruhr/Ruhrtriennale.