Als »Die Regierung« 1994 im Hamburger Club Logo spielte, zerbrach Frontmann Tilmann Rossmy sein Plektrum. Er fragte ins Publikum, ob jemand Ersatz hätte, und ein Fan reichte ihm ein neues. Der Fan hieß Dirk von Lowtzow, der gerade Tocotronic gegründet hatte. So sieht Legendenbildung aus, doch die Anekdote ist auf einem Konzert-Mitschnitt durch den NDR belegt. Später merkte von Lowtzow an, Die Regierung sei die wichtigste Inspirationsquelle für die Gründung von Tocotronic gewesen.
Dabei hatte die Essener Band um Tilmann Rossmy bis dahin nicht viel zustande gebracht. 1984 veröffentlichten sie ihr erstes Album »Supermüll« – zunächst total erfolglos. Erst 1990 folgte »So allein«. Dann wechselte die Band zum damals jungen Hamburger Label L’age d’or, auf dem sie die beiden Alben »So drauf« und »Unten« veröffentlichten. Vor dem letzten Album war die Auflösung bereits beschlossen.
Nach der Auflösung vergessen
Rossmy wollte eine Solokarriere machen; Schlagzeuger Thomas Geier sagt heute, er hatte »keine Lust mehr, Schlagzeuger zu sein. Ich wollte DJ sein. So war das damals halt.« Dennoch wurde in einer Umfrage unter Journalisten Die Regierung zur beliebtesten Band auf L’age d’or gewählt. Sie gilt (auch wegen von Lowtzows Geständnis) als Präzeptor der Hamburger Schule und damit der wichtigsten Entwicklung der deutschen Indie-Musik seit der Neuen Deutschen Welle.
Folgt man dem Musikjournalisten Michael Ruff, der »Supermüll« als beste NDW-Platte überhaupt bezeichnet, bildet Die Regierung sogar die Verbindung zwischen den beiden Pop-Phänomenen. Doch egal, wie hoch die Essener Band in Fachkreisen geschätzt wird, nach ihrer Auflösung vergaß man sie. Rossmy ging in die Schweiz und veröffentlichte Platten mit seinem Quartett; Thomas Geier wurde DJ und spielt heute wieder Schlagzeug bei der Band Festland; Bassist Robert Lipinski ist Sozialarbeiter in Bottrop.
Leiser, aufgeräumter
Dann wurde 2013 das legendäre, nahezu verschollene »Supermüll«-Album auf Hot Frog Records wiederveröffentlicht. Dass es jetzt zur Wiedervereinigung der Band kommt, ist indes eher Zufall. Eigentlich wollte man für das 8. Steeler Musikfestival das Tilmann Rossmy Quartett buchen und fragte für einen Kontakt bei Lipinski an. Der Auftritt war nicht finanzierbar. Da Zwei der »Regierenden« noch immer im Ruhrgebiet leben, war die Wiederbelegung der Band bezahlbarer.
Dass sie älter geworden seien, so Geier, habe auch Einfluss auf den Sound: »Tilmanns Gesang steht klar im Mittelpunkt. Das war zwar immer so, aber manchmal ist es uns einfach entglitten, und wir mutierten zu richtigen Rockern«. Die Proben würden zeigen, dass alle sich nun besser im Griff hätten. Die Arrangements sollen leiser, aufgeräumter und modernisiert daher kommen. Ob es beim einzigen Auftritt bleibt? Man könne sich schon vorstellen, »eine kleine Reunion-Tour zu machen« (Geier). Hot Frog Records hat auch Interesse, den Live-Mitschnitt des legendären Hamburger Konzerts zu veröffentlichen.
8. Steeler Musikfestival mit „Die Regierung“, „6aus49“ und weiteren Bands, 21. März 2015, Grend, Essen