Er ist zu schön, um echt zu sein. Rote Backen, Tauperlen auf der glänzenden Schale, vollendet die Form, kein Wurmloch weit und breit. Kaum zu glauben, dass dieser Musterapfel kein Einzelstück ist. Der ganze Baum hängt voll, ja übervoll von Prachtexemplaren dieser Art – sie lassen dem makellosen Laub fast keinen Platz mehr.
Karin Kneffel hat das in seiner Perfektion unnatürlich, beinahe bedrohlich wirkende Obstwunder 2002 in altmeisterlichem Realismus auf fast 20 Quadratmeter Bildfläche gebracht. Im Auftrag des Pharma- und Chemiekonzerns Altana, der Kunst sammelt und sich dabei ganz der »Natur« verschrieben hat. Über 600 Gemälde, Skulpturen, Fotos, Objekte der letzten paar Jahrzehnte sind zusammengekommen und inzwischen in die Altana Kulturstiftung überführt worden.
Eine Auswahl von rund 60 Werken ist seit 2008 auf Ausstellungstour. Nach Stationen in Baden-Baden und Leipzig führte der Weg nun in die Neusser Langen Foundation auf der Raketen-tation Hombroich: Rings umgeben von Feldern und hinter Erdwällen versteckt findet sich das schlichte Ausstellungshaus aus Beton, Glas und Stahl, geplant von Tadao Ando. Der japanische Architekt nahm hier die Verbindung von Innen und Außen, von Natur und Raum ganz besonders wichtig.
Daran liegt es wohl, dass Altanas Schätze sich so gut in den Bau fügen: Das flirrende Blättermeer von Alex Katz, Darren Almonds abgestorbener Winterwald, die Seerosen von Norbert Tadeusz, ein Teichrohrsänger, den Georg Baselitz nach bekanntem Rezept auf den Kopf gestellt hat. Oder eine handvoll hübscher Veilchenstängel, die Bill Beckley vor verschiedenfarbigem Grund akkurat immer neu arrangiert, fotografiert und effektvoll vergrößert.
Doch sind die Bezüge zur Natur nicht immer so direkt wie bei Blumen, Bäumen, Landschaft. Die Schau mit dem Titel »An die Natur« findet ihr Thema auch im freundlich sonnengelben Kissenbild von Gotthard Graubner oder mit Blick auf den Menschen – präsent etwa in Gil Shachars meditativer Porträtbüste mit Pickeln und Narben in Wachs und Epoxydharz.
Es versteht sich: Die »Natur« als ikonografische Klammer lässt dem Sammler ziemlich viel Spielraum. Von abstrakt bis hyperrealistisch. Geschnitzt, gemalt, fotografiert. Romantisch verklärt oder drastisch zerstört. Mal betörend, mal beängstigend, wie Kneffels Superäpfel oder Richard Longos Monsterwelle in Kohle und Grafit. Von Pflanzlichem en détail über die Kreatur in die Landschaft und weiter bis ins Universum, das Bernd Zimmer auf die Leinwand spritzt und schüttet – inspiriert durch digitale Bilder des Hubble-Weltraumteleskops.
Entwicklungen, Tendenzen sind in dieser natürlichen Fülle selbstverständlich kaum abzusehen. Vergleiche scheinen überflüssig. Was bleibt, sind die Stücke für sich, zuweilen auch ihre Wirkung im räumlichen Miteinander. Das muss reichen – tut es aber auch. | STST
Langen Foundation, Raketenstation Hombroich. Bis 5. Sept. 2010. Tel.: 02182/57010. www.langenfoundation.de