Dass Jane Campions Interesse nicht bei Rinderherden und den Pferden der Cowboys, vielleicht schon eher bei der Prärie und der Berglandschaft von Montana liegen würde, wenn sie einen Western dreht, das verwundert nicht. Aber es stimmt nicht ganz. Denn wenn die Kamera in »The Power of the Dog« den Tieren auf den Leib rückt, so dass ihr Fell wie ein sagenhaftes Vlies glänzt, hat es den Anschein, als solle es korrespondieren mit nackter menschlicher Haut.
Für eine Western-Erzählung sind wir weit in der Zeit: 1925. Zwei Rancher-Brüder, Phil und George Burbank, haben ihr bisheriges Leben miteinander verbracht, sich ein Zimmer und Bett ebenso geteilt wie die Leitung der großen Farm, nachdem die Eltern fortgezogen sind und nur noch gelegentlich zu Besuch kommen. Phil (Benedict Cumberbatch – beindruckend anders, als in seinem sonst gewohnten Brit-Snobismus) ist, obgleich einst Elitestudent in Yale, der raubeinig toughe, rabiate und nach Pferdstall riechende der Beiden, George (Jesse Plemons) der zurückhaltende, korrekte und feinfühlige.
George, der sich danach sehnt, in seinem Gefühl nicht mehr allein zu sein, heiratet die verwitwete Rose Gordon (Kirsten Dunst), Inhaberin eines Hotels und Mutter von Peter (Kodi Smit-McPhee), einem zartbesaiteten jungen Mann, schmal wie ein Scherenschnitt, feingliedrig, aber eckig und stets mit hoch geschlossenem Hemd, der schöne Papierblumen falten kann und mit dem Hula-Hoop-Reifen tanzt. Als Kind hatte er seinen Vater erhängt aufgefunden.
Unausgedeutete Beziehungen
Phil reagiert feindselig, als Rose zu ihnen in das vornehme Haus mit den dunkel getäfelten Zimmern zieht, wo sie auf dem Stutzflügel spielt, den George ihr gekauft hat. Rose, eine verirrte Tennessee-Williams-Seele, die heimlich trinkt, fühlt sich in dem Haus so fremd wie Ada (Holly Hunter) aus Campions »Das Piano« in der Ehe mit dem ebenfalls George heißenden Mann, den Harvey Keitel vor fast 30 Jahren gespielt hat. Das Haus liegt einsam in der Einöde wie das Anwesen in George Stevens’ »Giganten« oder wie die Villa von Norman Bates in Hitchcocks »Psycho«.
Für Peter, der während der Semesterferien ein Zimmer bezieht, hat Phil kaum mehr als Spott und Verachtung und nennt ihn »Miss Nancy« und »Little Lord Fauntleroy«. Dabei kultiviert Phil selbst eine eigenwillige Form von Männlichkeit, versendet Zeichen, dass er für den männlichen Körper nicht unempfänglich ist, lebt heimlich rituell seine Weichheit und hat einem mythischen Freund aus Jugendjahren, Bronco Henry, der schon seit 20 Jahren tot ist und den Brüdern den abwesenden Vater ersetzte, im Stall eine Art Altar mit Lassos aus Tierhäuten errichtet.
Phils Abneigung gegenüber Peter aber ist durchsetzt von Sympathie, als sähe er in dem Jüngeren eine unbestimmte, ungenutzte, unterdrückte, aufgesparte Möglichkeit seiner selbst. Eine wechselseitige Identifikation spielt hinein in ihre Beziehung, die für Liebe oder Hass zu halten man sich nicht ganz traut. Beides scheint denkbar, bevor der plötzliche Tod Phils durch eine Infektion mit Milzbrand Antwort geben könnte.
Unausgedeutete Beziehungen: von Männern zu Männern, von Männern zu ihrer Vergangenheit, von Männern zu ihren Müttern und Frauen. Nichts passt zusammen, die Personen nicht zueinander und nicht in die Räume, die Atmosphäre ist aufgeladen von bedrohlich Unheilvollem, Ungesagtes steht und schweigt ehern wie ein biblischer Psalm.
Der Film (Neuseeland / Australien 2021, 128 Minuten) nach dem Roman des von Jane Campion bewunderten Thomas Savage ist nach allerkürzester Kinoauswertung seit Mitte November nun im Programm von Netflix zu sehen.