Es gibt eine Menge Filme über die untergegangene DDR: kritische, aber gleichsam stubenrein gemütliche wie Matti Geschonnecks »Boxhagener Platz«, treuherzig hintersinnige und mit Komik angewärmte wie Wolfgang Beckers »Good Bye, Lenin« und staatstragend grundsätzliche, ehern auftrumpfende und noch mit der Trauer raffiniert kalkulierende wie Henckel von Donnersmarcks »Das Leben der Anderen«, der erwartet Hollywood eroberte wie zuvor der gar nicht so verschiedene »Mephisto« des István Szabó.
Jetzt gibt es einen ganz anderen – gedreht von Christian Petzold. Und so wie bei diesem Regisseur der Westen nie leuchtet, wenn er kaputte Männer und versehrte Frauen wie »Yella«, Laura und Leyla in die Welt schickt und sie in Berlin, Stuttgart, Wolfsburg oder Jerichow sein, aber nicht zuhause sein lässt, kann auch sein Ostdeutschland neun Jahre vor der Wende keinen Schauplatz fürs Gemüt darstellen. »Hier kann man nicht glücklich sein«, sagt Barbara einmal. Das gilt für alle Petzold-Figuren – überall. Galt bis jetzt.
Barbara sitzt draußen auf einer Bank, unnahbar, auf Verweigerung und Abwehr eingestellt. Die Kinderärztin, von Nina Hoss in ihrer kühlen, klaren, klugen, beobachtend analytischen, spröden Art gespielt, hatte einen Ausreiseantrag gestellt, der mit Haft und dann mit Versetzung von der Berliner Charité in ein Provinzkrankenhaus in Mecklenburg-Vorpommern geahndet wird. Nun ist sie angekommen in der dörflichen Strafkolonie und wird vom Fenster von zwei Männern beobachtet. Barbara plant weiter die Republikflucht, unterstützt von ihrem Geliebten (Mark Waschke), den sie im Wald oder in einem Interhotel trifft. Während sie dem Dienst am Menschen nachgeht und funktioniert, verschließt sie sich gegenüber ihrer Umgebung und der Atmosphäre aus Bedrohung, Belauern, Kontrolle, Überwachung und demütigenden intimsten Visitationen durch die Stasi. In ihrem Klinikchef André (Ronald Zehrfeld) trifft sie jemanden, der in seiner sympathischen und herzlichen Offenheit Vertrauen rechtfertigen könnte. Oder täuscht sie sich in ihm? Sie bleibt abweisend, »separiert« sich, wie er sagt, bis sie über das gemeinsame medizinische Engagement Respekt und Zuneigung für ihn gewinnt.
Petzolds Ökonomie der Mittel, die präzise, makellose Bildsprache und szenische Komposition, die die Stille als Musik einsetzt und Stimmen der Natur und die auch quälenden Geräusche des Alltags zu einer wahren Pastoral-Symphonie mischt, findet ideale Korrespondenz in Nina Hoss’ reservierten Spielweise und in der überlegenen, sich eine mentale Schutzzone schaffenden Verächtlichkeit der Barbara. Das Armselige, Schäbige, Banale der schon zerfallenden Verhältnisse ist ein ästhetisches, moralisches, soziales und politisches Verdikt der Individualistin gegen das Kollektiv. Sie stemmt sich gegen das System wie gegen den beständig wehenden Wind auf ihrem Fahrrad. Und es scheint auch, als wehre sich die Schönheit der Landschaft gegen ihre sozialistische Kultivierung.
Dass der Gefühlsraum hüben wie drüben ein Vakuum birgt, dass der Himmel immer, aber nicht nach Ost und West geteilt ist, dass Hoffnungen nicht nach Grenzen verlaufen, davon erzählt Petzold: ohne genrehafte Zugaben, nicht ideologisch aufgeladen, nicht parabelhaft, ohne Merksprüche. Vielmehr en miniature, als Sammlung von Partikeln, Variablen und Möglichkeiten, gefügt zu der kleinen Gewissheit, dass man in der Fremde heimisch werden kann, wenn man nicht allein ist. »Barbara« ist Petzolds erster Liebesfilm.
»Barbara«; Regie: Christian Petzold; Darsteller: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Rainer Bock, Mark Waschke; D 2012; 105 Min.; Start: 8. März 2012.