// »Finale furioso« hat Tobias Richter seine letzte Spielzeit übertitelt. Ein Motto, das sich nach der mittleren Bilanz der letzten Saison zunächst als frommer Wunsch las. Nun sieht es aber danach aus, als würde die Düsseldorf-Duisburger Rheinoper unter dem scheidenden Generalintendanten noch einmal zu großer Form auflaufen. Nachdem schon Charpentiers verstörende »Louise« unter Christof Loy ein Wurf ist, folgte mit Richard Strauss’ »Frau ohne Schatten« ein Abend von Metropolenformat. Das rare Werk spielt in Strauss’ Opernschaffen eine besondere Rolle; allein die Entstehungs-Geschichte (1911 bis 1919) kündet davon, dass ein »Schmerzenskind« des Komponisten und seines Librettisten Hugo von Hofmannsthal zur Welt kam. Ein Sonderfall bis heute. Die Anforderungen sind immens, allein schon mit Blick auf eine adäquate Sängerbesetzung. Zudem drängelt sich im Orchestergraben der größte Apparat, den Strauss je verlangt hat. Zu den technischen Schwierigkeiten gesellen sich künstlerische. Die märchenhafte, symbolschwere Handlung ist kompliziert und schwer realisierbar. Oft wurde Strauss’ spätromantischer Antwort auf Mozarts »Zauberflöte« vorgeworfen, sperrig und überladen zu sein.
In Düsseldorf sucht Guy Joosten das Gegengift zur Überfülle in der Reduktion und allmählichen Verschränkung der sich gegenüberstehenden Sphären von Geistern und Menschen. Johannes Leiacker, Bühnenbildner des Jahres der »Opernwelt«-Kritikerumfrage, hat eine gigantisch schwarze Treppe gebaut, auf deren steil aufragenden Stufen einzig ein Bett gefährlich schief steht. Der Monolith bietet im Hohlraum seiner Rückseite die ärmliche Behausung der Färberfamilie. Die Entstehungszeit im Ersten Weltkrieg liefert der Regie Bezüge zur Deutung, die damit das kunstgewerblich Wundersame des Werks vernachlässigt. Statt Fabelwesen geistern Verwundete und Gefallene durch Keikobads Reich, und die Ungeborenen sind verletzte Kinder. Die Geschichte der Geister-Kaiserin, die keinen Schatten wirft und nach einem solchen sucht, um ihrem Gatten drohende Versteinerung zu ersparen, wird als ruhiges Kammerspiel entfaltet. Beinahe überästhetisch formieren sich betörende Bild-Tableaus, die Parallelwelten vermischen sich, bis sie in eins zu fallen scheinen. Doch die Sehnsucht nach erlösender Läuterung durch Menschlichkeit endet bitter. Joosten verweigert das Happy End. Ermattet sinken die Geretteten zu Boden. Tod durch metaphysische Erschöpfung?
Während die Inszenierung nicht alle Widersprüche zu lösen vermag, ist die Aufführung musikalisch über Zweifel erhaben. Chefdirigent John Fiore organisiert den Riesenapparat souverän und entfesselt mit den Düsseldorfer Symphonikern einen wahren Klangrausch. Renée Morlocs Amme flammt in der Höhe und brodelt in der Tiefe; Linda Watson, die Bayreuther Brünnhilde dieser Saison, besitzt als Färberin hartes Edelmetall und treffsichere Kondition; Susan Anthonys Kaiserin blüht in leuchtenden Höhen und duftigen Koloraturen. Die Herren stehen in nichts nach: Alfons Eberz erklimmt sicher die Höhenlagen des Kaisers, Tomasz Konieczny erspart Barak mit balsamischem Legato das übliche Grollen. Nach dieser Gesamtleistung lässt sich sagen: Auch die Rheinoper hat das Potenzial zum Staatstheater und sogar den richtigen Standort.
Von ganz anderer Statur ist Strauss’ »Salome«, deren freizügiger Stoff die Wiener Zensur beschäftigte und die Dresdner Uraufführung 1905 zum Skandal machte. Die Partitur strotzt vor erotischer Eindeutigkeit und Obszönität. Drastisch, schwül und körperlich ist die Musik, und sie wirft das Problem auf, wie dieser Qualität darstellerisch beizukommen ist, ohne lächerlich zu wirken, was speziell für den Schleiertanz der Prinzessin gilt. In Aachen hat man nicht nur den Verführungstanz, sondern den gesamten Abend in kundige Hand gelegt. Die langjährige Bochumer Tanztheaterleiterin Reinhild Hoffmann gestaltet eine filigrane, präzise Bewegungschoreografie aus dem Geist des expressionistischen Stummfilms. Formelhaft sprechende, manchmal einfrierende Gesten verordnet sie der Titelheldin wie auch dem übrigen Personal, das mit sengenden Blicken einander wie magisch verbunden scheint. GMD Marcus Bosch lässt parallel einen Psycho-Krimi, durchsichtig, federnd und faszinierend spannungsvoll musizieren.
Dieter Hacker hat die grell modischen Kostüme entworfen und zudem die Bühne streng gegliedert; an den Seiten bieten Stufen Platz für Voyeure, in der Mitte teilt sich die Fläche in ein dunkles und ein erleuchtetes Dreieck: auf der einen Seite liegt Jochanaan bäuchlings auf einem Kreuz aus Licht, während sich gegenüber Jugendstilblüten am Boden ranken. Ein kalter Mond scheint aus nachtblauem Himmel, manchmal wird Bunuels surrealistisches Auge eingeblendet.
Sogartig und sehr intensiv läuft das Spiel der Kräfte wie in Zeitlupe ab. Gleichwohl vermeidet Hoffmann Überdeutliches, Aufdringliches, weder bei Salome noch bei ihrem Stiefvater Herodes (Hubert Delamboye), den als lächerlicher Alter ängstliches Begehren mit peinigender Scheu quält. Entsprechend subtil ist Salome (Anne Lünenbürger mit leicht geführter, lyrisch angelegter Stimme, die auch leise, fahle Töne des Irrsinns bereit hält) in ihrer Erotik: zufällig, lolitahaft verspielt, verträumt, versonnen und unschuldsvoll. Ihr Schleiertanz enthält mehr Verweigerung als Verführung – gerade das macht ihn zum Ereignis. //