Höhenflug und Höhenrausch gehören in dieser Stadt der schwindelnd hohen Kathedraltürme zwar zu den notorischen Versuchungen. Dennoch sollten auch die größten Enthusiasten nicht gleich erwarten, die langbeinigen Kunstfreundinnen Kate Moss, Claudia Schiffer oder Gwyneth Palthrow über die Messegänge flanieren zu sehen. Ebenso wenig dürfte sich hier David Beckham beim Einkauf eines betont teuren Mitbringsels für die Gemahlin überraschen lassen. Der Halbgott der Demi-Monde kauft zwar neuerdings neben chicen Autos und chicen Uhren auch chice Kunst ein, natürlich. Nach Köln aber wird er dafür wohl nicht eigens reisen. Zumindest noch nicht. Dass dies demnächst einmal anders sein könnte, das wird man in dieser Stadt der schwindelnd hohen Kathedraltürme gewiss nicht ausschließen wollen. Denn die Kunstmesse »art.fair«, die nun zum fünften Mal betont junge Kunst in Köln versammelt – Arbeiten, die im 21. Jahrhundert entstanden, von Künstlern, die nicht vor 1960 geboren sein sollten – zieht mit jedem Jahr mehr Aufmerksamkeit und Publikum an: Im letzten Jahr wurden schon weit mehr als 20.000 Besucher gezählt, und über 200 Galerien hatten sich für die rund 60 Stände beworben.
Die Messe gedeiht prächtig. Sie floriert geradezu im hitzigen Treibhaus des Kunstmarktes, der derzeit nichts so in die Höhe schießen lässt wie die Preise, die Aufmerksamkeit für betont junge, betont zeitgenössische Kunst. Ganz genau zum richtigen Zeitpunkt gegründet, 2003, scheint die Messe auch den richtigen Ort gewählt zu haben. Im engeren wie im weiteren Sinn. Die restaurierten Industriehallen der Expo XXI auf dem Gladbacher Wall nahe dem Mediapark, wo sich die »art fair« seit 2005 präsentiert, bieten den passend chicen Rahmen für das quirlige Treiben, zu dem ja beileibe nicht nur Messekojen, sondern auch ein äußerst ausgiebig besuchtes Veranstaltungsprogramm beiträgt. Allein zur letztjährigen Eröffnungsparty sollen 10.000 Schaulustige geströmt sein wie Schiffbrüchige zu einem Rettungsboot. Aber auch insgesamt verfügt die rheinische Metropole noch immer über ein ziemlich gutes Pflaster für junge Kunst. Nicht zuletzt wegen ihrer ausgeprägten popkulturellen Szene. Denn seit den Swinging Sixties, seit Pop Art, Happening und Flower Power, waren die Affinitäten, die Wechselwirkungen zwischen Kunst und Alltagskultur nicht mehr so intensiv wie in den letzten Jahren; seit den 60er Jahren war es nicht mehr so sexy, sich für Kunst zu interessieren, sich mit Kunstwerken zu umgeben wie heute. Deshalb auch gibt jemand wie David Beckham ein Vermögen für ein Kunstwerk von Damian Hirst aus: Weil sich damit neben Finanzkraft auch ein höchst fashionabler Geschmack beweisen lässt. Die zeitgenössische Kunst, dies bemerkte jüngst der Impresario Samuel Keller, sei die neue »globale Leitkultur«.
Die jüngste Kölner Kunstmesse, die in diesem Jahr mit neuem Namen – »art.fair21« – neuem Logo und einem erneut verbesserten Konzept auftritt, bietet sich also dar wie ein wohlkalkulierter, wohlinszenierter Marketing-Coup. Und gewiss ist sie das auch. Denn es galt ja von Anfang an, am mirakulösen Boom des Marktes für zeitgenössische Kunst zu partizipieren und dies vor allem durch die »Erschließung neuer Käuferschichten« zu erreichen, wie es im marktwirtschaftlich versierten Jargon der Messemacher heißt. Es galt, ein junges, fashionables Publikum anzusprechen – durch die Auswahl der Arbeiten wie durch das Ambiente der Messe –, das seit einigen Jahren den potentiellen Käuferkreis enorm erweitert. Weil es, dem Beispiel der Zelebritäten folgend, sich betont sexy und cool findet, wenn es sich für zeitgenössische Kunst interessiert. Und weil diese eben sich so vortrefflich zum Status-Symbol und Life Style-Accessoire anbietet wie schon ganz lange nicht mehr. Darüber mag man lamentieren. Man kann dies aber auch ausdrücklich begrüßen. Denn wie sonst lässt sich der alte und hehre Anspruch der Kunst einlösen, mehr zu sein als ein Kuriosum im freien Fall der Ideen – nämlich Teil des Lebens? Verglichen mit der allzu spröd und verschroben anmutenden Kunst vergangener Jahrzehnte sollte man sich über den sehr verführerischen – natürlich auch sehr marktgängigen, sehr konsumierbaren – Sex-Appeal des aktuellen Geschehens doch eher freuen. Exemplarisch geradezu, bunter und poppiger noch als zuvor, führt die »art.fair21« gerade dies vor Augen: Warum die junge Kunst unserer Tage solch ausgeprägte Life Style-Tauglichkeit besitzt. Zwar wird auch diesmal nicht die personelle Zusammensetzung jener geheimnisumwitterten Jury verraten, welche die rund 50 auf der diesjährigen Messe vertretenen Galerien auswählte. Und doch ist der Reigen höchst gelungen: sexy und cool. Auch wenn er nicht unbedingt originell anmuten mag; ganz neues Terrain wird hier gewiss nicht erschlossen.
Schwerpunkte liegen, natürlich, auf Künstlern aus dem ebenso bunten wie Fernen Osten, von Japan über Süd-Korea bis zu China. Und auf dem gerne martialisch, in Heavy Metal-Allüre auftretenden Osteuropa zwischen Rumänien und der Ukraine. Von den Variationen über die altmeisterlichen Ekstasen der Neuen Leipziger Schule über die heftig florierenden Reanimationen der fotorealistischen Malerei bis zu den donnerndpompösen Synthesen aus Pop Art und Sozialistischem Realismus spannt sich der Bogen, von Geisha-Romantik über Manga-Exzentrik bis zur Porno-Akrobatik. Es dominieren die Heiligenbildchen, die Sehnsuchtsikonen und Märtyrerszenen aus den Arsenalen der Popkultur und der Camp-Ikonografie. Zwischen Straßenstrich und Reservat für blümchengeschmückte Strandelfen wechseln die Schauplätze, zwischen Disneyland und raumschiffhafter Plattenbau-Siedlung. Und natürlich beherrscht die Malerei die ganze Szene. Dazu gesellt sich Hochkarätiges vor allem aus dem Bereich der Fotografie. Gewiss wird nur Manches vom Präsentierten einmal jene märchenhafte Wertsteigerung erfahren, von der hier alle träumen. Auch insofern ist die »art.fair« eine köstlicheTraumfabrik.
art.fair21. in der Expo XXI. Köln, Gladbacher Wall. 1.–4.11.2007. http://www.art-fair.de