// Glas ist ein ganz besonderer Stoff. Immateriell, ein Geschwister der Luft, zerbrechlich wie eine Eischale. Härter als Stahl, immun gegen Säuren, fähig, Geschosse aufzuhalten, selber skalpellscharf beim Bruch. Dem Feinsten, dem Licht aber erliegt es: Ist ihm willig wie sonst nur der körperlose Raum, spielt mit ihm, färbt es, schärft und verzerrt seine Bilder. Gemacht aus höchst gewöhnlichem Material – Quarzsand, Pottasche, Feldspat, Kalk – scheint es die Materie zu überwinden. Glas ist der reine Widerspruch.
Einst war Glas Ausdruck des Göttlichen. Heute ist Glas ein preiswertes Alltagsprodukt. Ein paar zeitgenössische Künstler verwenden Glas; mit mäßigen Erfolgen. Viel faszinierender als Glas selbst ist deshalb seine Darstellung, weil sie all unser Staunen über Glas, die Verwunderung, die Sorge, die Fragen, die ganze Magie zurückholt. Wie jetzt im Düsseldorfer museum kunst palast.
Das Haus beherbergt, wie bekannt, das Glasmuseum Hentrich und damit eine der wichtigsten europäischen Kollektionen dieses Werkstoffs. Die Ausstellung »Zerbrechliche Schönheit« aber präsentiert nun nicht etwa die dort gesammelten Flaschen, Trinkgläser, Flakons im Neuarrangement. Sondern die Darstellung solcher handwerklichen Stücke und Meisterstücke in der Kunst. Vor allem in der Malerei, vor allem in Bildern des 16. und 17. Jahrhunderts.
Denn die Hochzeit des Stilllebens war auch eine Feier des Glases. Das Stillleben war ja Memento mori und zugleich Lust an der Gegenwart; wollte sittlich erziehen und schwelgte doch im Reichtum der weltlichen Dinge; führte in seiner Objektsymbolik die Tradition mittelalterlicher Bildsprache fort und war zugleich Vergnügen reiner Mimesis; badete zum ersten Mal selbstreflexiv im Stolz auf das eigene Vermögen, die augentäuschende Raffinesse der Malerei. Im Glas, besser gesagt in seiner Darstellung, kommen all diese Aspekte zusammen. Da malt etwa der Utrechter Jan Davidszoon de Heem 1651 ein »Stillleben mit Deckelpokal«, das das gewaltige, mit schweren Nuppen gepanzerte Gefäß wie den Kelch auf dem Altar erhöht, eng umringt von Laub und Weintrauben, Feigen und Nüssen, halb und fertig geschälten Zitronen und krönend umschlungen von einem schweren roten Vorhang aus Samt. Links, fast schon aus dem Bild hinausgedrängt, steht einsam ein Trinkglas, ein sogenannter Berkemeyer (der Vorläufer des Römers), wie der Pokal halb mit weißgoldenem Wein gefüllt. Die offizielle Botschaft des Bildes, in der Gravur des Pokals angesprochen, ist unzweideutig: Sie heißt Mäßigung, empfiehlt also das Glas, nicht den Pokal. Die Komposition selbst aber – der Prunk der zum Hinfassen reizenden Oberflächen, die raffinierten Reflexe des Lichts in den Glasgefäßen, die augenstreichelnden Spiegelungen und Verzerrungen, die haptische Präsenz aller Gegenstände – all dies meint das Gegenteil von Mäßi- gung. Meint eine solche Lust am Dasein der Dinge, dass sie den Dingen selbst Transzendenz verleihen will: Die roten und weißen Weinbeeren, das Fleisch der halbierten Zitronen, sie enthalten so viel Licht, dass auch sie wie feine weiche Glaskörper wirken.
Womit wir symbolhistorisch ein Zeitalter davor bei der gotischen Kathedrale sind, durch deren farbige Fensterflächen das Licht Gottes hereinfiel. Oder, da ein solches Fenster in der Ausstellung nicht gezeigt wird, bei »Christus als Salvator Mundi« vom Meister der Darmstädter Passion, dessen um 1460 entstandenes Tafelbild von der Museumswand herunter demonstriert, welch hohen Symbolgehalt Glas in der christlichen Ikonografie besaß. Hält doch der Welterlöser eine kreuzgekrönte Glaskugel in der Hand, in deren Innerem die Welt geborgen liegt: Meer und Land. Die dingliche Schöpfung ist von einer göttlichen Lichtsphäre umgeben – diese Auffassung, die in der Darstellung dem Glas himmlische Eigenschaft zuweist, ist mittelalterliche Tradition, für die sich Beispiele in der Düsseldorfer Ausstellung mehrfach finden; Glas als Symbol für Reinheit ist so auch natürliches Attribut der Gottes- mutter. Seinen sakralen Charakter aber hat der durchsichtige Werkstoff über das Mittelalter hinaus bewahrt, hat ihn mitgenommen ins diesseitsfreudigere Barock, in die Stilllebenmalerei.
Die gruppierte ja nicht nur die kostbaren, sondern auch die ganz einfachen Gegenstände, beispielsweise ein paar Kerne und ein bisschen Gebäck. Genau dies, einen »Römer, Brezeln und Mandeln« zeigt Georg Flegels Bild von 1635 (oder 1637, da ist sich der Katalog nicht einig); der Frankfurter Maler nutzt die bescheidenen Zutaten jedoch, um daraus ein Bankett der Mal- und Sehkunst zu komponieren. Das Bild (s. Abb.) stellt gewissermaßen ein optische Brezelkunde dar bzw. eine Demonstration der optischen Gesetze mithilfe eines Backwerks. Gelingt es Flegel doch, »mindestens fünf verschiedene Ansichten einer Brezel wiederzugeben«, nicht zuletzt deshalb, weil ein Teil der Teigware ins Weinglas getunkt ist, womit der »Blick auf, in und durch etwas hindurch sowie auch auf ein Gegenüber mittels Spiegelung« geworfen wird, wie der Katalog voller – sehr wohl nachvollziehbarer – Begeisterung schwärmt. Simultanità nennt man dies, die malerische Gleichzeitigkeit aller Aspekte. Bei deren Perfektionierung die Darstellung von Glas, in der Regeln Flaschen und Trinkgläser, aufgrund seiner brechenden und spiegelnden Eigenschaften in der Stilllebenkunst eine große Rolle spielt.
Natürlich gibt es da kleine und große Meister. Glas, also etwas, was man nicht sieht, zu malen ist eine enorme Herausforderung; manchem gelingt dies außerordentlich wie dem 1619 in Rotterdam geborenen Willem Kalf, dessen aus tief- dunklem Hintergrund hervortretende Gläser kaum wahrnehmbar und doch überpräsent sind, statt mit Wein mit Licht gefüllt zu sein scheinen. Manchem aber gelingt dies auch weniger gut, auch noch in nachmittelalterlichen Zeiten. Guido Renis berühmter »Trinkender Bacchusknabe« von 1623 zum Beispiel besitzt ein glaubhaft streichelbares Bäuchlein und einen natürlich sprudelnden Urinstrahl. Aber der Kolben, aus dem er trinkt, könnte in seiner teilopaken Erscheinung mit dem groben Lichtreflex auf seiner eher weich wirkenden Oberfläche auch aus anderem Stoff denn aus Glas sein. Gerade diese Oberfläche aber in ihrer enormen abweisenden Härte bei gleichzeitiger völliger Durchlässigkeit sowie höchster Zerbrechlichkeit zu malen – wie das geht, das macht der Straßburger Sebastian Stoskopff vor: Sein »Gläserkorb und Pastete« von 1630–40 hat große Freude daran vorzuführen, welche Kaskade von Reflexen entsteht, wenn sechs hauchdünne, hauchzart gravierte Gläser kreuz und quer durcheinander liegen. Man fürchtet, das Hinsehen allein möchte die fragilen Gebilde zerbrechen. Den obligaten Vanitas-Sprung trägt in diesem Bild jedoch allein die steinerne Konsole.
Der umgebende Raum ist bei den genannten Bildern unsichtbar, Licht kommt kräftig oder gering von irgendwoher. Bei anderen Werken aus derselben Zeit jedoch zeigt sich das Umfeld: Da fängt in Jacob Marrells »Prunkstillleben mit Römer« (1651) das Trinkglas eine Reihe sphärisch verkrümmter Fenster ein, die das Arrangement schlagartig um eine ganze Dimension erweitern (und damit allerdings auch dezentrieren); da blickt aus der Spiegelung einer bauchigen Karaffe der (wahrscheinliche) Maler des Bildes, Giacomo Recco, selbst heraus – Reflexe nicht nur auf optischer, sondern auch auf produktionsästhetischer Ebene.
»Spiegelungen und Reflexe«, »Licht- und Farbenspiele«, »Durchsichten und Einsichten« – diesen thematischen Gesichtspunkten und nicht etwa der Chronologie folgt die Ausstellung, die damit in drei Sälen alte und jüngere, auch jüngste Kunst miteinander konfrontiert. So sieht sich beispielsweise das älteste Werk, ein kleines antikes Fresko aus dem 3. oder 4. nachchristlichen Jahrhundert, das eine gläserne Weinkanne im pompejischen Stil zeigt, einer Videoinstallation von Pipilotti Rist gegenüber, deren Endlosfilm farbiges Wasser in ein Trinkglas fließen lässt. Während beide ein Ölgemälde Giovanni Serodines von 1615–25 flankiert, das einen Raucher zeigt, dessen langstieliges Schreibgerät durch ein schräg gehaltenes Weinglas optisch gebrochen erscheint. Dass einmal nicht nur ein Gegenstand, sondern ein Gesicht durch die Krümmung eines Glases gebrochen und verzerrt würde, das erleben wir bei den alten Meistern nicht; erst im 20. Jahrhundert, in einem Gemälde des Lübeckers Albert Aereboe von 1927, zerfällt das Gesicht des »Ein- siedlers« durch den Blick durch eine Glaskugel in zwei Fragmente.
So wie das Stillleben in der Moderne kaum noch eine Rolle spielt (sieht man von den Ready Mades ab), so schwindet auch die Bedeutung der Darstellung von Glas und weicht bestenfalls seiner Nutzung als Material im künstlerischen Prozess. Wenn Adolf Luther (im Sog der ZERO- Kunst) konvexe und konkave Spiegel arrangiert, so geht dies über das Dekoraktive kaum hinaus. Wenn Melli Ink lebensgroße menschliche Skelette aus Glas aufstellt, dann bleibt dies ein rasch verfliegender Effekt. Wenn Louise Bourgeois in ihrer Skulptur »Poids« einen schweren Stahlreifen von zwei Glasbottichen mit ein wenig Tinte drin ausbalancieren lässt, spielt Glas in dieser (optischen) Waage-Konstruktion immerhin eine zwingende Rolle. Und in Damien Hirsts »The Non Committal Lovers« (Die unverbindlichen Liebenden) von 1991 bilden die Einweckgläser den dankbar empfundenen Schutz vor dem ekligen Inhalt: zottigen Eingeweiden.
»Zerbrechliche Schönheit. Glas im Blick der Kunst« – diese Ausstellung mit dem materialgemäß etwas spröden Titel ist die erste unter der Ägide des neuen mkp-Generaldirektors Beat Wismer und zugleich eine Art Abschiedsvorstellung des in den Ruhestand tretenden Direktors der mkp-Sammlung sowie des Hentrich-Museums, Helmut Ricke. Zu sehen sind über 250 Arbeiten, überwiegend Leihgaben aus dem In- und Ausland; allein die Fülle der dicht beieinander hängenden, unmittelbar zum Vergleich animierenden Stillleben ist einen Besuch mehr als wert. Von den gezeigten neueren Kunstwerken überzeugt noch am ehesten die Klassische Moderne (Moholy-Nagy, Modersohn-Becker, Beckmann, Dix, Duchamp, Monet, Gris), vielleicht, weil hier Glas künstlerisch befragt und nicht benutzt wird. Während bei den jüngeren Arbeiten das Spielerische, manchmal Effektverliebte überwiegt. Freilich mit Ausnahmen: Hugo Suters zerbrochenes Werkstattfenster mit aus den Scherben geformtem Ball (der das Fenster zerschoss?) irritiert und schmerzt zugleich; und einen jener zerbrechlich-gefährlichen Glas-Iglus von Mario Merz sieht man immer wieder gern. //
Bis 31. August 2008. Katalog bei Hatje Cantz, 320 S., 29 €. Tel.: 0211/8992460. www.museum-kunst-palast.de