Die 1829 in Parma uraufgeführte Tragedia lirica »Zaira« hat bisher wenig Geschichte und Wesen um sich gemacht. Verschwand doch Vincenzo Bellinis fünfte Oper nach der fatalen Aufnahme ihrer Premiere in den Archiven – bis zur Wiederentdeckung 1976. Weitere drei Jahrzehnte dauerte es, bis das Werk die Alpen querte und das Musiktheater am Revier erreichte, das sich erfolgreich auf Belcanto-Raritäten spezialisiert. Zwar bietet die Kreuzzug-Geschichte »Zaira« einen gängigen, zurück in die Barock-Oper reichenden Stoff vom Clash der Kulturen und Glaubenskrieg, bekämpfen sich patriotische Gefühle, stößt die Gatten- auf Bruderliebe und der Orient auf den Okzident. Doch der subtile wie zupackende Stimmungs- und Charakterzeichner Bellini verschärft diese Konfliktpotenziale noch mit Arien, die nur von sanften Streicher-Wellen à la »Casta Diva« umspült werden müssen. Ein Regisseur darf sich da zurücknehmen und den Fokus ganz auf die Sänger richten. Aus aktuellen Kopftuch-Debatten hält sich Dieter Kaegi heraus; lieber sorgt in einer postmodernen, von Kachel- und Stahlbeton-Säulen getragenen Halle das Ensemble für psychodramatische Hitzewallungen. Vor allem die armenische Sopranistin Hrachuhí Bassénz, die nicht nur äußerlich als Schwester der Supernova Anna Netrebko durchgehen könnte. Um die Elementargewalten ihrer Leidenschaften umzusetzen, färbt und formt sie die Titelpartie schlicht sensationell, expressiv und impulsiv. Ähnlich kulinarische und stimmschauspielerische Höchstleistungen bieten Bariton Nicolai Karnolsky als Sultan Orosmane und Tenor Sergio Blazquez als orthodoxer Islamist Corasmino. Dass hingegen die Neue Philharmonie Westfalen unter Kai Tietje lediglich gut wegkommt, kann den Ruf des Hauses als neuer Belcanto-Hochburg nicht schmälern. Und in die gelangt man sogar, ohne Schwarzmarkt-Preise zu zahlen. GFI
Stimmglanz ohne Kopftuch
01. Jul. 2006