Spielende Kinder, Schritte auf den Kieswegen, das Rauschen von Blättern im Wind – Geräusche wie man sie kennt aus einem Park. Mit Camille Norment kommen nun neue, fremde Klänge hinzu. Menschliche Stimmen, die summen und brummen. Sie dringen aus einem Glashaus, das Norment auf der Wiese unter Bäumen platziert hat. Die 1970 in den USA geborene, nun in Norwegen lebende Künstlerin ist zu Gast im Ruhrgebiet als Trägerin des Nam June Paik Award, für den die Kunststiftung NRW in diesem und den folgenden Jahren mit dem Skulpturenmuseum Marl kooperiert. Bis in den Herbst hinein wird Norments Werk auf dem Gelände des ehemaligen Friedhofs im Stadtteil Brassert bleiben und ganz eigenen Erlebnisse bieten.
Im Inneren des Pavillons fühlt man sich nicht nur umgeben von den fremden Klängen, sondern noch dazu optisch irritiert durch das schwer durchschaubare Wechselspiel mit Blick auf die gläsernen Wände. Weil sie teils spiegeln oder je nach Blickwinkel mal mehr, mal weniger transparent scheinen. Damit nicht genug: Wer das Werk komplett erleben will, darf nicht herumstehen oder -gehen, er muss sich niederlassen. Dafür stehen Holzbänke bereit, die auf Glassockeln beinahe zu schweben scheinen. Es sind sozusagen die Kernstücke der Arbeit. Als Material wählt die Künstlerin Kiefernholz, wie es auch für Musikinstrumente oft benutzt wird. Durch ein spezielles System wird die Bank zum Lautsprecher, was man – darauf sitzend oder liegend – auch spürt. Durch Vibrationen, die auf den ganzen Körper einwirken.
Man kennt solche Kompositionen aus früheren Arbeiten von Camille Norment. Denn auch für Marl hat die Künstlerin aus ihrem über Jahre gewachsenen Archiv geschöpft. Mit Bedacht kreierte sie dabei einen universellen Soundtrack: einfache Lautäußerungen, die allen vertraut sein sollten. Das Verbindende, Gemeinschaft Stiftende, gewinnt für die Künstlerin eine besondere Bedeutung. Nicht zuletzt in Erinnerung an die Toten des Weltkriegs, die hier beigesetzt sind. Auf dem alten Friedhof, der bald zum Bürgerpark ausgebaut und umgestaltet wird. Nur die Grabstätten, in denen Soldaten, Zwangsarbeiter und zivile Opfer des Zweiten Weltkriegs ruhen, werden bleiben. Längst schon mischen sie sich mit Skulpturen der reichen Marler Sammlung, die seit Jahrzehnten wächst und sich weit und breit in der Stadt verteilt.
Camille Norments Pavillon erweitert nun das Spektrum – wenn auch nur für ein paar Wochen. Es ist das erste Mal, dass der Nam June Paik Award ein Werk im öffentlichen Raum ermöglicht. Anders wäre es in Marl auch gar nicht möglich gewesen. Denn nach dem Auszug aus dem »Glaskasten« unter dem Sitzungssaal des Rathauses ist das städtische Skulpturenmuseum zurzeit ohne feste Bleibe. Das provisorische Übergangsquartier in ehemaligen Räumen der Martin-Luther-King-Gesamtschule reicht nur für kleinere Ausstellungen. Und die neue Unterkunft im »Marschall 66«, in einem denkmalgeschützen Schulgebäude von Günther Marschall, muss in den kommenden Jahren erst noch museumsgerecht hergerichtet werden. Da kommt Camille Norments kleiner »Glaskasten« genau zum richtigen Zeitpunkt.
Skulpturenmuseum Glaskasten Marl
Camille Norment
Bis 15. Oktober