Das barbarische Verbrechen an einer indischen Ärztin brachte Kamalini Mukherji auf die Barrikaden. Gemeinsam mit einem weiblichen Ensemble der Duisburger Philharmoniker hat die Sängerin ein Musikvideo produziert, das der Gewalttat die nachhaltige Kraft der Kunst entgegensetzt.
Als im vergangenen August eine Ärztin, die in einer Klink in Kolkata (früher Kalkutta) Nachtschicht hatte, vergewaltigt und ermordet wurde, hielt sich Kamalini Mukherji gerade in der Stadt auf. Die 1979 hier geborene Sängerin, die in New York lebt, wollte Angehörige und Freunde besuchen. Dann aber wurde ihr Aufenthalt von diesem Verbrechen eines Mannes überschattet, der für den Security-Dienst des staatlichen Krankenhauses arbeitete. Seine Tat, die im Januar mit lebenslanger Haft bestraft wurde, löste eine Welle von Protesten und Ärztestreiks aus – nicht zuletzt, weil sexualisierte Gewalt so weit verbreitet im Land ist. Mukherji, die zu den bekanntesten Interpretinnen der indischen Musikrichtung Rabindra Sangeet (auch bekannt als Tagore-Lieder) zählt, schloss sich den Demos an.
Doch blieb es nicht beim spontanen Protest. »Ich wollte meinen Zorn in einer künstlerischen Form auszudrücken«, erzählt die Sängerin, die im Mai 2024 beim Duisburger Kammermusik-Festival »Eigenzeit« mitgewirkt hatte und später als Artist in Residence die Stadt an Ruhr und Rhein näher kennenlernte. »Auf dem Rückflug von Kolkata nach New York war ich so erschüttert, dass ich Nils Szczepanski, dem Intendanten der Duisburger Philharmoniker, vorschlug, mit Musikerinnen seines Orchesters einen Song aufzunehmen, der sexuelle Gewalt gegen Frauen als Ganzes ins Visier nimmt.«
Aufruf für Menschenrechte
Szczepanski fand die Idee großartig. In Duisburg angelangt, schritt die energische Künstlerin direkt zur Tat. Sie wählte ein traditionelles Lied des bengalischen Dichters, Philosophen und Komponisten Rabindranath Tagore (1861-1941): »Aguner poroshmoni« (»Berühre mein Herz mit dem Prüfstein aus Feuer«), so lautet der Titel des eindringlichen Sechs-Minuten-Videos (arrangiert von Mahan Mirarab; Regie: Alex Kla). In einem Proberaum der Philharmoniker, der durch Kerzen und einen Teppich eine spirituelle Anmutung ausstrahlt, nahmen Musikerinnen und Gäste der Duisburger Philharmoniker das Lied an einem Tag auf. Abrufbar ist das Musikvideo sowohl über die Mediathek der Philharmoniker als auch über YouTube.
Anders als man es bei einem solchen Song erwarten würde, setzt »Aguner poroshmoni« nicht auf laute Töne. Es soll nicht als Ventil dienen, über das Zorn sich ungefiltert Luft macht, um hernach rasch zu verpuffen. Ein stiller Protest, glaubt Kamalini Mukherji, ist wirkungsvoller – jedenfalls dann, wenn er mit einer kraftvollen künstlerischen Botschaft gepaart ist. »Das Lied«, sagt sie, »geht über die anfängliche Wut hinaus und wird zu einem Gebet für Reinigung und Heilung – es ist nicht nur ein Aufruf für die Rechte der Frauen in Indien, sondern für die Menschenrechte in der ganzen Welt«.
Viele Menschen, die das Video angeschaut hätten, waren zu Tränen gerührt, sagt Mukherji. »Aguner poroshmoni« versteht sie auch als Hommage an den Komponisten: Obwohl Rabindranath Tagore 1913 den Nobelpreis für Literatur erhielt und zwei seiner Lieder die Nationalhymnen von Bangladesch und Indien sind, sei er im Westen nach wie vor zu wenig bekannt: »Er war seiner Zeit weit voraus. Seine Lieder werden noch heute überall in Indien gesungen.« Und im Juni wieder in Duisburg: Denn dann reist Kamalini Mukherji erneut an, weil sie am »Marxloh Music Circus« teilnimmt – mit diesem Projekt wollen die Duisburger Philharmoniker dem Stadtteil als Bühne der Weltmusik ein neues Image geben. Im Oktober ist dann ein Einzelkonzert in der Mercatorhalle geplant.
Das Musikvideo ist abrufbar über mediathek.duisburger-philharmoniker.de