Künstler*innen bei der Arbeit: Eine Ausstellung im Kolumba schaut ihnen über die Schulter. Mit hauseigenen Werken aus rund tausend Jahren beschreibt sie unterschiedlichste Möglichkeiten künstlerischer Prozesse – und ganz verschiedene Formen der Inspiration.
Eric Hattan reicht der Blick aus dem Fenster seines Pariser Ateliers. Per Zufall beobachtet er unten an der Straßenecke einen städtischen Angestellten, der mit großem Einsatz versuchte, einen Haufen Sperrmüll und widerspenstiges Gestrüpp in seinen viel zu kleinen Transporter zu quetschen. Rasch bringt Konzeptkünstler die Kamera in Position und lässt sie gut 20 Minuten laufen – das Ergebnis von 2002 ist nicht nur amüsant, es wirft auch wichtige Fragen auf. Zum Beispiel die nach dem Künstler. Ist es Hattan mit seiner Kamera oder der Müllmann mit seiner unfreiwilligen Slapstick-Performance? Was verlangt mehr Inspiration? Das kunstvolle und zugleich platzsparende Arrangement der Bretter und Äste auf der Pritsche oder doch eher das geistesgegenwärtige Aufstellen der Kamera am Fenster?
Im Kolumba markiert der kleine Film den interessanten, intelligenten Einstieg in eine Schau, die den »Artist at Work« unter die Lupe nimmt. Sie macht das künstlerische Arbeiten zum Thema und fächert mit hauseigenen Werken aus rund tausend Jahren eine schier grenzenlose Vielfalt an Möglichkeiten auf. Dabei geht es um Prozesse, Orte, Techniken, um Inhalt und Form, Ziel und Zweck… Nicht zuletzt natürlich auch um die Inspiration.
Künstler im Bett
Die schmale Treppe in den ersten Stock des Museums erklommen, begegnet man ihm denn auch persönlich – jenem »Artist at Work«, von dem die Ausstellung ihren Titel geliehen hat. Nicht geschäftig wie Hattans Müllmann präsentiert sich Mladen Stilinović 1978 als »Künstler bei der Arbeit«. Ganz im Gegenteil – acht Fotos zeigen, wie er sich im Bett hin und her wälzt – mal nach rechts, mal nach links, dann wieder liegt er auf dem Rücken mit Blick zur Zimmerdecke. Ob Stilinović um Inspiration ringt? Wohl kaum. Viel eher feiert er die Faulheit, hält sein persönliches Plädoyer gegen das Image des Künstlers als emsigen Produzenten. Und schafft dabei trotzdem acht Fotos, die sich als Kunst verkaufen ließen.
Neben diesen dösenden Provokateur des 20. Jahrhunderts stellt die Schau vier spätmittelalterliche Figuren auf den Sockel – dargestellt sind Steinmetze, die hier nicht länger als bloße Bauhandwerker beschrieben werden, sondern als stolze Mitglieder der Oberschicht auftreten. Als Künstler, deren schöpferische Arbeit Gelehrsamkeit erfordert und Inspiration. Das war neu damals.
Man kennt das anregende, oft überraschende Miteinander und Gegenüber von alten und neuen, von christlichen und säkularen Werken bereits gut aus den Kolumba-Ausstellungen der letzten Jahre. Auch diesmal ergeben sich daraus immer wieder spannende Dialoge, die in Peter Zumthors Architektur einen wunderbaren Resonanzraum finden.
In wechselnd aufgeschlagenen Stundenbüchern des 15. Jahrhunderts etwa wird bildlich beschrieben, wie Matthäus, Markus, Lukas und Johannes beim Verfassen der Evangelien himmlische Eingebung erfahren. Viel profaner lief die Inspiration viele Jahrhunderte später bei Giampaolo Babetto ab. Davon zeugt im Raum nebenan eine Gruppe kleiner Skulpturen, die nicht ohne Grund an Lippenstifte erinnern. Der Künstler hatte sich bei dieser Werkgruppe von 2016 durch die Anfrage eines namhaften Kosmetik-Herstellers inspirieren lassen – es ging ursprünglich um das Design von Lippenstiftgehäusen, was Babetto dazu anregte, die Möglichkeiten zylindrischer Formen zu erforschen.

Dass auch ein Flohmarktbesuch zur nachhaltig sprudelnden Quelle der Inspiration werden kann, beweist »der kleine Pinsel«, dem Michael Kalmbach im dunklen Raum 9 des Rundgangs einen ganzen Werkkosmos widmet. Angeregt durch eine Puppe vom Trödel, hat der Künstler die raumgreifende Installation aus 130 Einzelteilen entwickelt – samt Badewanne und Glühbirnen. Als bewegliche Knetfigur wird der kleine Pinsel hier sogar zum putzigen Protagonisten eines Trickfilms.
Wo die Inspiration zu Hause ist? Auch auf diese Frage gibt die Schau höchst unterschiedliche Antworten. Der heilige Hieronymus etwa – im Kolumba durch Druckgrafiken von Dürer bis Rembrandt gleich mehrfach vertreten – zog die Einsamkeit vor. Meistens sitzt er als Gelehrter am Schreibtisch im Studierzimmer, auch Gehäuse genannt. Weil er Schutz bietet vor Störungen von außen, scheint dieser Raum ideal für die kreative Reflexion geeignet.
Einsamkeit ist aber sicher nicht jedermanns Sache. Wer seine Inspiration lieber aus Gemeinschaft und Kommunikation schöpft, ist in Valeria Fahrenkrogs »Kiosco« garantiert besser aufgehoben. Die Künstlerin hat die Bude nach dem Muster alter Kioske in Santiago de Chile gezimmert und mitten ins Kolumba gesetzt. In der chilenischen Metropole waren die Kioske mit allerlei Zeitungen oder Zeitschriften bestückt und einst als Treffpunkte, Orte der Information und des Austauschs beliebt. Die museale Neuinterpretation stattet Fahrenkrog mit vielleicht ebenso inspirierenden Materialien und Publikationen vergangener Ausstellung aus und lockt das Publikum durch Gemeinschaft stiftende Veranstaltungen.
Geselligkeit herrscht ebenfalls im Rund der mittelalterlichen Marienfiguren, die auf der oberen Etage in einer Art Sitzkreis zusammenfinden. Allesamt begleitet von einem Jesuskind und fast immer gekennzeichnet durch ein freundlich zugewandtes Lächeln auf den Lippen. Vielleicht wirkte diesmal der Kölsche Frohsinn inspirierend?
Jedenfalls war der fröhliche Figurentyp im 14. Jahrhundert so verbreitet in der Stadt, dass die gutgelaunte Madonna schon als Kölner Markenzeichen durchgehen konnte.
Und so nähert man sich lächelnd dem Ende des Rundgangs, der streckenweise vielleicht etwas disparat erscheint – aber trotzdem oder vielleicht gerade deshalb so inspirierend wirkt.
Kolumba, Köln
Bis 14. August