Palermo stammte aus Leipzig und starb am 17. Februar 1977 auf der Malediveninsel Kurumba: 33 Jahre alt. Seine Biografie ist fast ein Nichts – und seine Kunst so reduziert, dass sich die Leute Legenden zurecht legen, um den Menschen und Künstler zu begreifen. Das Ungewöhnliche an seinem Werk aber ist, dass er mit einem blauen oder grünen Dreieck einen ganzen Raum verwandeln konnte. Eine Villa in der Bismarckstraße von Mönchengladbach etwa, wo ihn der geniale Johannes Cladders 1973 zeigte, wirkte plötzlich erhaben, beinahe unbetretbar. Aura verbreitete eine zwei Meter hohe, schmale Latte, die er mit Leinwand umwickelt und mit Rot besetzt hatte. Ein Holzstück, mit Nessel oder Leinwand überzogen und farbig eingefasst, konnte etwas bezeichnen, was sich nicht weiter besprechen lässt.
Palermo, das war eigentlich Peter Schwarze, dessen Mutter Zwillinge zur Welt brachte, den Peter eben und Bruder Michael. Oder hieß er Stolle, wie die Zeitschrift »Monopol« behauptet? Oder Eichelmann, nach dem Vater Kurt Eichelmann? Aus Peter, dem Namenlosen, wurde Peter Heisterkamp, sein Adoptivvater war Direktor bei Mannesmann. Er besuchte 1961 die Werkkunstschule in Münster und kam 1962 an die Kunstakademie Düsseldorf zu dem Maler Bruno Goller. Als er zwei Jahre später in die Klasse von Joseph Beuys wechselte, wurde aus ihm Blinky Palermo. Für das Pseudonym soll, so geht die Fama, Anatol plädiert haben, der künstlerisch begabte Polizeihauptmann und Kommilitone. Palermo, der Erste, war Manager des amerikanischen Boxers Sonny Liston. Auch Palermo, der Zweite, muss ein starker Typ gewesen sein – der sich beizeiten von seinen Lehrern absetzte. Palermo wollte nicht die Welt verändern oder verbessern. Er war auch nicht beredt wie der Schamane Beuys. Freundlich und zurückhaltend setzte er sich über alles hinweg, über die Zentralperspektive, die Figur, die Inhalte der Kunst. Er dachte allein an Farbe und Form. Aber nicht so streng wie die konkreten Künstler der Zeit es taten, seine abstrakten Bildobjekte besitzen eine eindringliche Präsenz der Farben und kaum fassbare spirituelle Wirkung. Auch wenn er sie über dem Türrahmen oder in einer Ecke des Zimmers anbrachte, schienen sie den Raum zu bewegen, vielleicht gar aus den Angeln zu heben. In der Beuys-Klasse der 1960er Jahre waren Fluxus und Performances beliebt. Palermo hingegen brachte sich nicht derart ein, spielte kein Theater, veranstaltete keine Aktionen, umhüllte lieber ein T-Stück aus Holzlatten mit Kunstseide und bemalte es anschließend. Wie seine Freunde hielt er sich im Ratinger Hof ein paar Schritte von der Kunstakademie entfernt auf und am Tresen fest, schaute der Ingrid zu, die ihm das Bier gratis gab und später den Künstler Chris Kohlhöfer heiratete.
Zwischen 1966 und 1972 entstanden Palermos Stoffbilder. Wunderwerke an Poesie. Sie suggerieren anfangs Landschaften, deren Horizont durch Nähte akzentuiert wird. Die Stoffe sind einfarbig, die Farben industriell vorgegeben. Palermo hatte sie preisgünstig im Kaufhaus erstanden. Er nähte sie selbst zusammen, spannte aber auch andere ein, wie Ema Richter, die auf Gerhard Richters berühmtem Gemälde die Treppe als unbekleidete Eva abwärts steigt. Und auch Kristin, Ehefrau Nr. Eins, und Ingrid nähten. Er bestimmte die Materialkombinationen, zum Beispiel Baumwolle und Satin oder Taft und Leinen. Als der Krefelder Gerhard Storck 1978 die Stoffbilder im Museum Haus Lange zeigte, war es, als seien Romantik, Traum, das Verlangen nach Schönheit und Reinheit in die Bauhaus- Villa eingekehrt, um eine interaktive Spannung zu erzeugen. Die einfachen Farbbahnen, über Keilrahmen gespannt, ergeben Bilder und Objekte. Storck, der ihr Werkverzeichnis herausbrachte, hat die Farb-Kombinationen aufgelistet, von Rot-Rosa über Rosa-Blau, Blau-Grün und Grün-Dunkelgrün bis zu Karminrot-Gelb- Orange, Indigoblau-Grün und zuletzt Schwarz- Grün-Blau. Er unterschied zwischen linksbündigen und rechtsbündigen Bildern oder breiten und schmalen Stoffbahnen. Für die Atmosphäre im Raum ist dies weniger wichtig, die Bilder behaupten ihre Magie auch über den Tod des Künstlers hinaus.
»Typisch deutsch«, meint Vanessa Müller, die Chefin des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen, sei »diese Romantik«. Zusammen mit dem Team der Kunsthalle unter Ulrike Groos und der Gastkuratorin Susanne Küper aus Berlin wurde die Palermo-Ausstellung am Grabbeplatz konzipiert, die zum 30. Todestag des Künstlers und zum 40-jährigen Bestehen der Kunsthalle als große Retrospektive in allen Räumen des Hauses zu sehen ist.
Von 1968 bis 1973 fertigte Palermo Wandzeichnungen direkt auf die Wand, transitorisch. Mit Ausstellungs-Ende verschwanden sie. Die grafische Sammlung des Kunstmuseums Bonn besitzt die vollständige Dokumentation der realisierten Wandmalereien und Zeichnungen, die Palermo auf 49 Tafeln festgehalten hat. In der Galerie Konrad Fischer zeigte er in dem schmalen Gebäude-Schlauch an der Neubrückstraße diese Malerei als Architekturschnitt. Ulrike Groos glaubt, Palermo habe die Räume der Kunsthalle, die herrliche Treppe, den Emporen-, Kino- und Seitensaal immer schon in seine Kunst einbezogen oder zumindest theoretisch darauf reagiert, seine Kunst sei so offen wie eben die musealen Räume, offen, schön und von Licht durchflutet.
1973 besuchte der Bonner Museumschef Dieter Ronte das Atelier von Palermo in Mönchengladbach. Zwei Jahrzehnte später beschrieb er seinen Eindruck: »Ich sah eigentlich wenig; kein richtiges Atelier, nicht diese gestapelten Bilder, fern war der Geruch von Öl, von Jute oder Leinwand oder von frischem Holz. Irgendwie war alles anders. Wir betrachteten auch nicht längere Zeit Kunstwerke; wir diskutierten, überlegten Projekte.«
Ende 1973 dann benutzte Palermo die ersten metallenen Träger, in den USA. Er bestrich sie mit Acrylfarbe in vielen Schichten und montierte sie mit Abstandshaltern an die Wand. »Sie changieren zwischen Objekt und Bild, flirren fast vor der Wand, weil die Farbe unorthodox aufgetragen ist. Die Farbe tropft unten herunter, so dass man die Arbeiten kaum verpacken kann«, sagt Vanessa Müller.
Flirrend wie die Kunst war sein Leben. Er verschob beides über Grenzen hinaus. Er konnte trinken, bis man ihn abführen musste, Drugs and Music kamen dazu, wie man nicht nur von Babett Scobel, seiner letzten Freundin, weiß. Mit Norbert Taddeusz ist er auf ähnliche Weise durch New York gezogen, in seinen Jeans und mit dem langen Haar. Als er noch mit Kristin verheiratet war, mussten ihn Taxifahrer oder Freunde aus der Altstadt mit dem Auto nach Mönchengladbach kutschieren.
Dabei war er leise und ruhig, keineswegs extrovertiert. Zuletzt war er Babett nach Kurumba nachgereist. Zehn Monate waren die beiden zusammen, und als sie allein heimkehrte, brachte sie die Urne auf ihrem Schoß im Flugzeug mit zurück. Palermo, so Vanessa Müller, sei »wahnsinnig zeitgenössisch« gewesen: »für die jüngere Generation eine wichtige Bezugsperson, weil er auf radikale Weise nach Grenz- und Endpunkten gesucht hat. Einzigartig in der Zeit.« //
Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz 4; 21.10.2007 bis 20.1.2008; der Katalog, circa 280 Seiten, kostet 29,80 Euro, ist erschienen bei DuMont; www.kunsthalle-duesseldorf.de