Irgendwann hat Igor Grigorescu einfach zurückfotografiert. Die auffällig unauffälligen Herren in dunklen Mänteln mit ihren großen Funkgeräten, scheinbar zufällig unters Volk gemischt. Es waren Mitarbeiter der gefürchteten rumänischen Geheimpolizei Securitate, die bei staatlich organisierten Wahlveranstaltungen überwachten, dass sich das Volk auch brav zum Regime bekannte. Am 6. März 1975 nahm der Künstler die Perspektive der Staatssicherheit ein und schoss Fotos aus der Hüfte. Eine Selbstermächtigung über die Spitzel, verbunden mit einer Bildästhetik, die sonst in den Akten der Täter*innen zu finden ist.
Gezielte Unterwanderung
44 Jahre später ist Grigorescus Bildreihe nun Teil der Ausstellung »Artists & Agents – Performancekunst und Geheimdienste« des Hartware MedienKunstVerein (HMKV) im Dortmunder U. Die Performance galt den Regimen und Geheimdiensten des ehemaligen Ostblocks als besonders gefährlich und subversiv, da sie nur schwer zu kontrollieren war. Anders als Gemälde oder Skulpturen ist sie eine flüchtige Kunstform, die überraschend in der Öffentlichkeit auftauchte, die genauso schnell wieder verschwand und sich nicht eindeutig politisch einordnen ließ. Um die Akteur*innen der Performancekunst besser überwachen und ihre Arbeit sabotieren zu können, griffen die Geheimdienste zu Strategien der gezielten Unterwanderung und Zersetzung der Szene – dafür mussten aus den Agent*innen selbst Performancekünstler*innen werden.
Gesteuerte Tarn-Aktionen
HMKV-Direktorin und Kuratorin Inke Arns hat sich für diese Ausstellung Unterstützung von der Universität Zürich geholt. Ihre Mit-Kuratorinnen Kata Krasznahorkai und Sylvia Sasse beschäftigen sich schon seit einiger Zeit mit diesem Thema und haben sich dafür durch endlose Aktenkilometer Papier gegraben. »Artists & Agents« dokumentiert Auszüge aus den Akten von zehn Geheimdiensten, etwa aus Polen, Rumänien, der UdSSR und der DDR, die an raffiniert verspiegelten Lesetischen durchforstet werden können. Bilderserien wie jene zur »Bulldozer-Ausstellung« zeigen den Wahnsinn der gesteuerten Tarn-Aktionen. 1974 planten Künstler*innen, ihre Werke öffentlich am Stadtrand Moskaus auszustellen. Der KGB schickte daraufhin »Arbeiter*innen«, mit Setzlingen und Harken, die vorgaben, an dieser Stelle Bäume pflanzen zu müssen und der Gruppe die Bilder aus der Hand schlugen. Zwei Bulldozer zerstörten dann die Werke endgültig.
Hinzu kommen Fotos, Filme und Skulpturen von 24 Künstler*innen aus 10 Ländern, die sich mit den historischen Unterwanderungen beschäftigen, oder ihre eigenen Akten und Überwachungsberichte künstlerisch verarbeitet haben. Etwa Cornelia Schleime, die 1984 aus der DDR ausreiste und von der Stasi überwacht wurde. Für ihre Fotoserie »Bis auf weitere gute Zusammenarbeit, Nr. 7284/85« hat sie Observationsberichte ausgewählt, die ihr unterstellen, dass ihre Wohnung »notdürftig« eingerichtet sei oder sie ein »asoziales Leben« führen würde. Sie reagierte darauf mit eigenen fotografischen Inszenierungen und räkelte sich rauchend mit einem westdeutschen Tastentelefon im Bett.
Gabriele Stötzer rückten die Überwacher noch näher auf den Leib. Die Erfurter Künstlerin plante 1984 eine Fotoserie mit einem Transvestiten, ahnte aber nicht, dass ihr Model »Winfried« gezielt von der Stasi geschickt wurde. Dieser sollte als »IM Konrad« die Fotoperformance in Richtung Pornografie beeinflussen, um einen Anklagepunkt gegen Stötzer zu konstruieren. Schaut man sich heute die Fotos von damals an, wird deutlich, dass »Winfried« nicht so funktionierte, wie es geplant war. Stattdessen fand er Lust am Posieren; Stötzer machte aus dem Spion ein Fotomodell, dass seine Arbeit vor der Kamera mehr zu interessieren schien als seinen eigentlichen Auftrag. Sieben Serien entstanden mit »Winfried«, die jedoch nie in der DDR ausgestellt wurden.
Verklumpte Akten
Nicht alle Dokumente der damaligen Zeit haben in den Archiven überdauert. Vieles fiel der gezielten Vernichtung durch den Schredder zum Opfer. Eine besonders perfide Variante zeigt Daniel Knorr mit seiner Installation »State of Mind«, die auf den ersten Blick wie eine Ansammlung runder Steine aussieht. Tatsächlich bestehen diese aus Papier-, Ordner- und Mikrofilmfetzen, die die Stasi mit Öl und Wasser zu einer Masse vermischte, die beim trocknen versteinerte. So sind die Informationen für immer verloren, nur die Pastellfarben der Klumpen verraten, welche Farben die vernichteten Aktenordner hatten.
Dass der Blick der Ausstellung hauptsächlich in den Osten geht, liegt daran, dass die Archive der ehemaligen Blockstaaten heute zugänglich sind, während in Westeuropa die Geheimdienste aus dieser Zeit noch bestehen. Man weiß zwar, dass die Schweiz ebenfalls Künstler ausspioniert hat, inwieweit aber der BND in der Nachkriegszeit die deutsche Kunstszene überwachte, bleibt ein Geheimnis. Auf eine Anfrage der Kuratorinnen, ob es in deren Archiven Akten über den niederrheinischen Performer Joseph Beuys gäbe, folgte nur eine knappe Antwort: »Nein.«
»Artists & Agents – Performancekunst und Geheimdienste«, HMKV im Dortmunder U, bis 19. April 2020