Sein »EM-Brot« lässt Andreas Slominski erst während der Fußball-Europameisterschaft in den Ofen schieben. Vom 15. Juni bis zum 14. Juli gibt es den länglichen Laib, handgeformt und mit einem Fußballschuh gestempelt, in den Filialen von Bäcker Peter. Entweder zum Verzehr oder als Sammelobjekt. »Kunstwerk durch Handwerk«, so lautet das Motto der Essener Bäckerei. Das passt gut zum aktuellen Fußballprojekt, das der bei Potsdam lebende Künstler (Jahrgang 1959) derzeit im Museum Folkwang präsentiert. In dessen Mittelpunkt steht die Plakatserie »Wohnorte gegen Geburtsorte«.
Ein typisches Werk für den Konzeptkünstler, der ein Faible für Absurdes hat, dessen Kunst zwischen Scherz, Ironie und tieferer Bedeutung changiert. Mit der schönsten Nebensache der Welt hat sich der Fußballfan schon in der Vergangenheit wiederholt auseinandergesetzt: 1987 schleuste Slominski ein Tornetz ohne Tor in eine Ausstellungshalle ein. 1994 grub er einen Elfmeterpunkt samt Rasensode aus – am Tag darauf wurde die Land Art im Frankfurter Portikus gezeigt. 2001 tarnte er eine »Mausefalle«, indem er ihr die Gestalt zweier hölzerner Fußballschuhe gab.
Jetzt also Plakate.
Zwar ist die Schau Teil des Kunst- und Kulturprogramms »Vom Fußball berührt«, das die UEFA EURO 2024 in Deutschland begleitet. Doch geht es im Folkwang Museum nicht um Spitzenfußball. Und auch nicht um Spitzendesign. Vielmehr künden die 80 rustikal gestalteten Plakate Begegnungen an, die sich zwischen 1986 und 1988 abseits der großen weiten Welt des Fußballs abgespielt haben – meist in den westdeutschen Oberligen, in seltenen Fällen auch in der ersten und zweiten Bundesliga. Von Aachen bis Worms reicht das geographische Spektrum der Serie.
Den mentalen Ball ins Rollen brachte bei Andreas Slominski die Oberliga-Nord-Begegnung Altona 93 gegen SV Meppen. Das denkwürdige Ereignis trug sich am 26. August 1986 zu in der Hamburger Adolf-Jäger-Kampfbahn. In Altona wohnte der Künstler damals; mit seinem Geburtsort Meppen verbanden ihn Kindheitserinnerungen. Was tun, wem die Daumen drücken? Kurzerhand entschied er sich für eine salomonische Lösung: Indem er das Plakat des Spiels als Kunstwerk deklarierte, brachte er alte und neue Heimat unter einen Hut.
In einer großangelegten Briefaktion wandte sich der Professor für Bildhauerei an der Hamburger Hochschule für bildende Künste an Fußballvereine der damaligen Bundesrepublik, bat um Zusendung aktueller Plakate und fand Gehör. Die Werkgruppe, die Slominski dem Museum Folkwang 2019 als Schenkung überließ, formiert sich zu einem Kuriositätenkabinett, in dem das durchschnittliche westdeutsche Fußball-Geschehen der späten 80er Jahre Wiederauferstehung feiert. Doch weshalb sollte sich noch irgendjemand für das Bayernliga-Match TSV Ampfing gegen Vestenbergsreuth interessieren, das am 14. November 1987 stattfand? Oder für die Begegnung SWC Geislingen gegen FC Marbach, die am 21. November 1987 auf dem Spielplan der Fußball-Amateuroberliga Baden-Württemberg stand? »Nach dem Spiel ist vor dem Spiel«, mit diesem Merksatz hat schon Sepp Herberger den Ewigkeitswert einer sportlichen Auseinandersetzung erheblich relativiert. Daran muss sich auch »Wohnorte gegen Geburtsorte« messen lassen, obwohl Slominski das Spielgeschehen in die Kunstarena verlegt, ein Stück Erinnerungskultur heraufbeschwört und en passant dem Alltagsdesign der 80er Jahre eine augenzwinkernde Hommage erweist.
Zum Glück wird die etwas trockene Darbietung angereichert durch andere, vitalere Objekte, die im weitesten Sinne als Fußball-Trophäen anzusprechen sind. Zum einen hat Andreas Slominski in einen der kleinen Lichthöfe des Museums ein Fußballtor eingezwängt. Das Runde ins Eckige bringen kommt hier schon deswegen nicht in Betracht, weil das Atrium durch eine Verglasung abgeschirmt ist. Zum anderen stapeln sich in der Ausstellung ein paar Säcke mit Sportplatzkreide. Sie verweisen auf ein raumgreifendes Projekt, das der Künstler im Stadion von Rot-Weiss Essen an der Hafenstraße in Essen-Bergeborbeck verwirklichen möchte. Das gesamte Spielfeld soll als Bildträger einer »Kreidezeichnung« dienen – ausgespart blieben nur die zur Markierung erforderlichen Linien und Punkte. Im Katalog sind zwei Studien abgebildet, die den schneeweißen Platz inmitten der grau-grünen Umgebung wie eine Fata Morgana erscheinen lassen.
Damit die Realität wird, müssten allerdings 154 Säcke (à 25 Kilogramm) herbeigeschafft werden. Eine sportliche Herausforderung – selbst für einen wie Slominski, der beinahe schon routiniert Unmögliches möglich macht. Sollte die Stadion-Utopie in der Abseitsfalle landen, winkt Trost im Museumsshop: Dort kann man als Souvenir handliche Tütchen mit »Elfmeterkreide« von Andreas Slominski erwerben. Der Preis? Natürlich elf Euro.
»Andreas Slominski. Wohnorte gegen Geburtsorte«
Museum Folkwang, Essen, bis 14. Juli