TEXT: STEFANIE STADEL
Von Sehnsuchtsorten schwärmt die Kuratorin und von einer scheinbaren Schwerelosigkeit, die man dort oben verspüre – in jenen Gespinsten zwischen Himmel und Erde. Der Traum vom Fliegen sei zentral für Tomás Saraceno. Anschließend kommt der technische Leiter im K21 bei der Pressekonferenz auf die Sicherheit zu sprechen. Jedes einzelne der Halteseile sei nach Abschluss der Arbeiten getestet worden. Überhaupt würde die Konstruktion viel mehr vertragen, als die erlaubten zehn Benutzer, die sich gleichzeitig auf den Netzen bewegen dürften.
Und Saraceno, was hat er den Vertretern der Medien zwei Tage vor Ausstellungseröffnung zu sagen? Am liebsten gar nichts. Der Künstler hält das Reden ohne Erlebnis offenbar für müßig. Schließlich erschlössen sich 50 Prozent seines Werkes erst bei seiner Benutzung. Oben im filigranen Stahlgeflecht, das sich unter die imposante Glaskuppel spannt – in drei Ebenen, die von riesigen PVC-Kugeln auf Abstand gehalten werden. Es ist die bisher größte Installation des 1973 geborenen Argentiniers, der seit langem in Frankfurt lebt und zwischen Venedig und New York mit ähnlich ambitionierten Projekten von sich Reden macht.
WATTEWEICHE BESCHWINGTHEIT
Die ästhetischen Reize seiner Arbeit für Düsseldorf stehen außer Frage. Doch nun ist genug geschaut und bestaunt. Die Sandalen abgelegt, es geht mit profiliertem Turnschuhwerk die schmale Stahltreppe hinauf. Und spätestens am kleinen Ausstieg, der hinaus führt auf die Netze, ist die Vorfreude auf den schwerelosen Spaziergang verflogen. Wippend und wankend findet man anschließend kaum Gelegenheit, sich am unbekannten Zustand zu berauschen. Viel vordringlicher wird die Suche nach Halt im schwebenden Kletterwald. Auch die Sicherheitserklärungen des Technikers ändern wenig an jenem mulmigen Gefühl beim Blick in den bald 30 Meter tiefen Abgrund, der sich plötzlich unter den Füßen auftut. Da wird jener von der Kuratorin beschworene Traum vom Fliegen leicht zum Albtraum.
Doch muss es wohl Gewöhnungssache sein. Einige wenige bewegen sich schon recht behänd, ja beinahe genussvoll »in orbit«, so der Titel des Konstrukts. Allen voran der Künstler selbst. Ganz entspannt hat er es sich gemeinsam mit einem weniger relaxten Kamerateam an einer besonders schaurigen Stelle im Geflecht gemütlich gemacht. Steht Rede und Antwort auf einem Häufchen weißer Kissen, wie sie sich überall hier oben finden und zur meditativen Rast laden.
Alles scheint so beschwingt, so watteweich, so licht, so leicht: Die feinen Verstrickungen, dazwischen Bälle, die gigantischen Seifenblasen gleichen. Doch hat Saraceno hinter all der vermeintlichen Unbeschwertheit einen gewichtigen Batzen Theorie platziert. Die feinen Stahlseile seiner Installation suchen Halt in der Architekturgeschichte, knüpfen an naturwissenschaftliche Erkenntnisse.
MENSCHEN ZU PLANETEN
Für alle, die in seinen Netzen bloß das schöne Spektakel sehen, »in orbit« als musealen Kletterwald verstehen, hält der Künstler ein verwirrendes Geflecht an Bezügen bereit: »Die Arbeit visualisiert für mich das Raum-Zeit-Kontinuum, ein dreidimensionales Netz einer Spinne, die Verzweigungen von Materie und Gehirn…«. »In orbit«, so Saraceno, setze Proportionen in neue Beziehungen; menschliche Körper würden Planeten, Moleküle oder soziale schwarze Löcher.
Seine Werke nehmen Fäden des amerikanischen Architektur-Visionärs Richard Buckminster Fuller auf, führen dessen Utopien ein Stück weiter in die Realität. Auch bewundert der Künstler und studierte Architekt die Zeltkonstruktionen eines Frei Otto. Drei Monate lang musste Saraceno humpeln, nachdem er nachts heimlich auf das Dach des Olympiastadions in München gestiegen und abgestürzt war. Nicht weniger als die Ideen großer Architektenkollegen beeindrucken ihn aber die faszinierenden Konstruktionen von Spinnen, die er seit Jahren erforscht.
Das alles findet sich wieder in seinen Arbeiten: Im raumfüllenden Spinnennetz, das Saraceno 2009 für die Venedig-Biennale schuf, und in den durchsichtigen Sphärenkugeln, mit denen er 2011 in Berlin die Halle des Hamburger Bahnhofs in ein riesiges Erlebnis-Laboratorium verwandelte. Oder auch in jenen 16 begehbaren Modulen, die der Künstler 2012 auf dem Dach des Metropolitan Museum in New York installierte – von außen betrachtet muteten sie wie eine Mischung aus Molekularstrukturen und Raumschiffstationen an.
Das Düsseldorfer ist nur eines in einer langen Reihe von Projekten, die um das Thema der sogenannten »Cloud Cities« kreist – schwebende Städte der Zukunft, die ein alternatives Lebensumfeld bieten wollen. Das soziale Miteinander ist ein weiterer wesentlicher Aspekt, der Saraceno dabei interessiert. Auch im K21 sollte man sich gemeinsam mit anderen auf seinen Netzen bewegen, um die »Schwingungen« des Nachbarn zu spüren.
VON SPINNEN LERNEN
Immer fest im Auge hat Saraceno dabei die Spinnen. In Vorbereitung der Düsseldorfer Arbeit etwa setzte er unterschiedliche Arten nacheinander in Vitrinen, beobachtete, wie die eine auf dem Geflecht der anderen aufbaute. Anschaulich werden die Ergebnisse eine Etage tiefer im geheimnisvoll verdunkelten »Spinnenraum« des K21, wo zwei fein gewobene 3-D-Konstruktionen im Lichte der Scheinwerfer stimmungsvoll erstrahlen. Auch ein paar der begabten Erbauer sind da noch zu sehen. Allerdings hängen sie ziemlich leblos in den Seilen.
Saraceno selbst turnt derweil weiterhin munter im »Orbit«, bereit für Kamera und Mikrofon. Ob seine Arbeiten denn überhaupt als Werke der Bildenden Kunst zu verstehen seien, oder ob sie doch vielleicht eher als Ausdruck sozialer, philosophischer Studien zu sehen seien – so wurde er einmal gefragt. Saracenos Antwort: »Ich liebe es, einem Netz von Beziehungen Lagen und Knoten in Form von Verstehensweisen und mehr Bewusstsein für das Unbewusste hinzuzufügen.«
Bis Juni 2014 oder länger, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, K21 im Ständerhaus, Düsseldorf. Tel.: 0211/83 81 204. www.kunstsammlung.de