REZENSION ANDREAS WILINK
Einmal stemmt sie sich gegen den Wind, der ihr so stark entgegenbläst, dass sie ihm kaum standhält. Einmal gerät sie in die Tiefe eines riesigen Spiegels, der von Transportarbeitern über einen Platz geschleppt wird und ihr das eigene Abbild in vexierhaften Brechungen zeigt. Momentaufnahmen ihres Gefühlssturms. Marina (Daniela Vega) hieß früher Daniel, bis sie ihre biologische Erscheinung ihrem Empfinden angepasst hat. Sie jobbt als Kellnerin, bereitet sich auf Gesangsauftritte vor und lebt seit einiger Zeit glücklich mit dem beträchtlich älteren Orlando zusammen, der für sie Frau und Kinder aufgegeben hat.
Nach einer abendlichen Feier fühlt der sich unwohl, stürzt, bricht zusammen und stirbt kaum später an einem Aneurysma in der Klinik. Für Marina ändert sich alles – sie muss sich und ihrer Beziehung rechtfertigen gegenüber Ärzten und der Polizei, die ihre von der Norm abweichende Person sogleich unter Verdacht stellen und sie kriminalisieren, und wird von Orlandos feindseliger Familie ausgeschlossen.
Marina verliert nicht nur ihre Wohnung, sondern vor allem ihre emotionale Sicherheit und die Möglichkeit zu trauern, da ihr Zugang zu dem Toten verweigert wird. Die innere Verstörung hat sie überwunden, dem äußerlich unternommenen Versuch der Zerstörung muss sie standhalten. Am Ende steht Marina auf der Konzertbühne und singt wunderbar Händels »Ombra Mai Fu«. In Zeiten, da der Ausgrenzer Donald Trump u.a. Transgender-Männer und -Frauen aus der US-Army zu entfernen beabsichtigt, ist dieser ruhig und klar erzählte Film ein Verdienst und dass er aus Chile kommt und nicht etwa aus Kanada oder Frankreich, wo Xavier Dolon und François Ozon am Projekt offener Identität arbeiten, bemerkenswert.
»Eine fantastische Frau«; Regie: Sebastián Lelio; Chile / D / Spanien / USA; 100 Min.; Start: 7. September 2017