Simon Hartmann steht auf der Bühne als Walter Benjamins Angelus Novus, den Blick auf einen Haufen Erde und totes Holz gerichtet. Das Magnetband einer Videokassette sind seine Flügel, ein Standventilator bläst ihm den Fortschritt ins Gesicht. Die Schöpfung ist unwiederbringlich an ihrem Ende angekommen und er kann nichts mehr dagegen tun.
Oder liegt der Fehler schon ganz am Anfang? Da hockt Daniel Ernesto Müller vorne auf der Bühne, existenzialistisch in schwarz mit Rollkragenpullover und sucht nach der richtigen Schöpfungsgeschichte: »Am Anfang schuf der liebe Gott Himmel und Erde.« Oder war es wüst und wirr? Oder nichts? Oder war doch das Wort der Anfang? Simon Hartmann ist hier noch ein leicht vertrottelter Gehilfe in schlecht sitzender Jeans und buntem T-Shirt mit »Take a Trip«-Aufschrift, der ab und zu Müller mit einem »Hm« beipflichtet. Es war aber wohl doch Gott, der es versaut hat, als er sich den Menschen ausdachte und ihm das Recht auf Expansion und Naturausbeutung an die Hand gab.
So voll ist die Bühne selten
»Die Schöpfung« ist ein typisches Stück des Duos hartmannmueller und doch in einigem anders als die Vorgänger »In noT« und »my saturday went pretty well until I realized that it was monday«. So deutlich wie in »Die Schöpfung« kommen die beiden Düsseldorfer sonst nicht gleich auf das Thema zu sprechen, so voll ist ihre Bühne selten, so viel Aktion haben ihre Stücke sonst nicht.
Die ganze Welt ist auf die Bühne gebaut: In einem hohen Regal wuchert der Regenwald über Video- und Audiokassetten, von der Decke hängen Eisklumpen, die ihr Schmelzwasser in Gläser regnen lassen, ein längst verdorrter Wald vorne, eine Schöller-Eistruhe könnte der Überrest arktischer Gebiete sein. Gelegentlich verschwindet Müller darin bis zur Hüfte, bis nur noch die zappelnden Beine herausschauen, um irgendetwas hervor zu holen. Manchmal auch nur einen Drink.
Gewitter aus dem Lautsprecher
Bevor die Natur den Bach runter geht, feiern die Menschen sie aber erst einmal. Aus den Lautsprechern donnert ein Gewitter und ein Beschwörungsritual beginnt. Hartmann speist die Soundschleifen mit live eingespielter Posaune, Müller tanzt derweil sein »Sacre« in einem Lichtkegel, der Sound türmt sich und Hartmann fällt in den Tanz ein, dann stampft Müller in einem Glas Erde, Tannenzapfen und Äste zu feinem Staub, den er im Ventilatorstrom fliegen lässt.
Nur mit einem leuchtenden Finger wird dann die Weltgeschichte als Schattentheater erzählt, die wild über die Bühnenrückwand wuchernde Natur klein gemacht, gerodet, der Mensch, eine Spiderman-Plastikfigur, tritt riesenhaft auf und überzieht den Globus mit seiner Rechteckig- und Regelmäßigkeit, mit Gittern und Zäunen. Die Bewässerung des im Regal eingehegten Regenwaldes wird noch akribisch sichergestellt, aber irgendwann schmelzen dann die Polkappen auf dem Herd. Schließlich ist die Katastrophe nur noch ein Haufen Erinnerungsschnipsen aus visionären Filmen, die der Menschheit Warnung hätten sein können und müssen.
Mit »Die Schöpfung« begeben sich hartmannmueller auf für sie ungewohntes Terrain. Sie haben ein Anliegen, es geht ihnen nicht nur um Kunst. Da könnte der besorgte Öko-Kitsch lauern. Er wird von den beiden Performern und ihrer Dramaturgin Annette Müller klug umschifft. Manchmal mit Skurrilität, mit dem ihnen eigenen absurden Humor. Die Tönung des einstündigen Abends ist insgesamt aber deutlich dunkler als sonst. Simon Hartmann und Daniel Ernesto Müller können auch das.
Weitere Termine: 23. und 24. November 2019 im Tanzhaus NRW Düsseldorf, www.tanzhaus-nrw.de