TEXT: STEFANIE STADEL
Wer genau hinschaut, kann sie erkennen. Die spärlich keimenden Kichererbsen auf dem Feld ganz vorn. Zarte Pflänzchen, die sicher noch einige Zeit und noch mehr Wärme brauchen, um auf dem Platz vor der Bundeskunsthalle Früchte zu tragen. Etwas vielversprechender sieht es mit dem Grün weiter oben in der Gewächsempore aus: Blättchen, Halme, Ranken; Mais, Dicke Bohnen, Hartweizen. Fremdlinge sind sie allesamt. Denn Christian Philipp Müller hat das Saatgut importiert aus Syrien, Serbien, Somalia, aus dem Irak oder Afghanistan. Lauter Länder, aus denen Menschen flüchten, um in Deutschland Asyl zu suchen. Nun sind sie angekommen und müssen das Beste daraus machen – im Bonner Hochbeet der Sonne entgegen.
Hoffentlich gibt es keine Probleme. Denn selbst hier auf friedlichem, fruchtbarem Boden ist das Glück nicht garantiert. Der Ausstellungstitel kündigt es schon an: Es gibt »Ärger im Paradies«. Das hört sich nach Ganoven-Komödie an und lässt an Ernst Lubitschs berühmten Film denken, der den gleichen Titel trägt. Doch auf diese Spur sollte man sich nicht zu sehr konzentrieren. Mit Adam, Eva und ihrem »Ärger im Paradies« kommt man den Hintergedanken der Schau schon etwas näher: Kunsthallenleiter Rein Wolfs hat 14 recht renommierte Zeitgenossen geladen, die sich auf dem Dach und rings umher nicht zuletzt der ambivalenten Verstrickung von Natur und Zivilisation annehmen.
Die Kollision dieser Antipoden kann man beobachten. Etwa im dicken, mehrfach gewundenen Käfig-Rohr, das Alvaro Urbano und Petrit Halilaj oben im Eingangshof der Bundeskunsthalle verlegt haben – ein zivilisatorisches Requisit, das den kleinen gefiederten Natur-Wesen, die es bewohnen, ein bisschen Freiheit vorgaukelt. Eine ähnlich zwiespältige Verbindung gehen Natur und Kultur im kunstvoll zusammengezurrten Blumenbouquet von Maria Loboda ein, mit dem die Schau ein Stückchen Garten Eden ins Foyer der Bundeskunsthalle zwingt.
So richtig los geht der »Ärger« aber erst auf dem Hallendach: Wer den Lift verschmäht, muss um die 70 Stufen erklimmen. Oben angekommen, wird manch einer dann außer Atem sein und noch dazu enttäuscht – ganz besonders gilt das sicher für den Blumenfreund, wenn er zurückdenkt an die blütenprächtigen Gärten von Kleopatra und Max Liebermann, die in vergangenen Sommern auf dem weitläufigen Dach rekonstruiert worden waren. Stattdessen empfangen einen an diesem schönen Ort nun abgestorbenes Geäst und paarweise zusammengebundene Ballen, die an Heu erinnern, aber aus nichts als Plastik sind.
Freuen wird sich jedoch der Sinnsucher, wenn er erfährt, dass die Baumleichen aus einem georgischen Waldstück stammen, das 2008 während des Kaukasuskrieges verbrannt ist. Vajiko ChachKhiani hat die traurigen Zeugen der Zeitgeschichte aus seiner Heimat hergebracht. Gleich dahinter liegt Olaf Nicolais hübsch floral geformte Mauerkrone aus Edelstahl. Einfach nur ansprechend, könnte man denken, doch dagegen spricht der Warnhinweis auf dem Schild, das davor aufgebaut ist: »Vorsicht scharfkantig. Nicht berühren«. Tatsächlich sind die stilisierten Blumenblätter der Krone messerscharf geschliffen. Sehr schnell erweist sich das natürlich Schöne so als gefährliche Waffe.
Der Kletterfreund lässt solch bedenklich befrachtete Stücke gern links liegen, um über den Rasen zu rennen und mit Schwung eines der bunten Ballenpaare zu erklimmen – damit sozusagen den Zusammenprall von Kultur und Natur mit eigener sportlicher Energie nachzuempfinden. Glückt die Übung, bleibt man am liebsten gleich oben liegen und erfreut sich an der Sonne, wenn sie scheint. Doch der reine Genuss hat ein Ende, sobald man sich klar macht, dass es eben kein nach frischer Ernte duftendes Stroh ist, auf dem man da rastet. Es sind bunte Plastikhalme, einen ganzen Meter lang und gedacht für das Sangria-Gelage aus großen Eimern – wie es in vermeintlichen Urlaubs-Paradiesen unserer Tage gepflegt wird.
Es ist genau dieses Wechselspiel aus Spaß und Ernst, aus Amüsement und Verstörung, das den Spaziergang übers Dach so reizvoll macht. Und so rutscht man nach einiger Zeit des Grübelns auch gern wieder herab vom Plastik-Ballen, wenn die junge Frau am Rande mit den Schlägern winkt. Dass es kein gewöhnlicher Minigolf-Parcours ist, über den der Spieler anschließend sein Bällchen manövriert, wird ihm erst allmählich klar. Ina Weber nennt ihr Kunststück »Trümmerbahnen-Minigolf« und besetzt jede der zwölf Stationen mit mehr oder weniger angeschlagenen Miniaturarchitekturen: Durch die bröckelnde Fassade führt der Weg ins Erdgeschoss eines verfallenden Plattenbaus. Vorbei am stillgelegten Lido-Kino muss die Kugel schließlich mit Karacho eine baufällige Brücke passieren.
Es sind Bruchstücke aus vergangenen Tagen. Manche haben vielleicht einen Krieg überlebt, in anderen glaubt man das Relikt einer gestürzten Diktatur zu erkennen oder ein Überbleibsel aus Wirtschaftswundertagen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie bessere Zeiten gesehen haben. Wie ein Gruß aus der Vergangenheit stehen die »Trümmer« nun am Straßenrand, wo man achtlos an ihnen vorübereilt. Oder eben auf der Betonbahn, wo sie geschickt umspielt werden. Froh ist, wem das gelingt.
Doch wird auch der Verlierer sicher gerne zurückkehren nach Bonn aufs Dach. Für eine Revanche, für ein Sonnenbad auf Sangria-Halmen. Oder vielleicht auch nur, um den Kichererbsen beim Wachsen zuzusehen.
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, bis 11. Oktober 2015, Tel. 0228 / 9171 200