TEXT NICOLE STRECKER
Köln hat seit fast einem Jahr wieder eine Tanz-Kompanie. Das haben Sie noch nicht gemerkt? Nun gut, es ist gewissermaßen auch nur eine halbe Kompanie, die andere (wie es aussieht: größere) Hälfte gehört München. Zu sehen war sie bislang nur an einem einzigen Abend. Aber jetzt! Im Februar werden Kompaniegründer Richard Siegal und sein 12-köpfiges »Ballet of Difference« fast den gesamten Monat in Köln sein, um ein neues Opus namens »Ballet 2.018« zu erarbeiten und im Rahmen des dreiteiligen Abends »On Body« zu präsentieren.
Nach Jahren, in denen Köln nur eine Gastspielstation für hochkarätige Kompanien war, tastet man sich so behutsam an ein Ensemblemodell heran. Die von Siegal gecasteten Tänzer sind, was sogar in den eher schwachen Stücken des ersten Abends unübersehbar war, absolut fantastisch, technisch wie charismatisch. Allerdings muss die Stadt im bi-kommunalen Konzept aufpassen, dass sie nicht nur Finanzspritze für die Münchner Kompanie bleibt. Die Bayern pampern ihren Künstler nämlich schon seit vielen Jahren. Dort hat Siegal fast alle seiner Werke gezeigt und für das Bayrische Staatsballett als Choreograf gearbeitet. Er habe, sagt der bekanntermaßen gewiefte Künstler, in München gelernt, wie man eine »Community kultiviere«, und die Aufgabe seiner Kompanie sei nun ein »bridge-building« zwischen den Städten. Wer hätte gedacht, dass die rheinische Metropole eines Tages ausgerechnet zum bayerischen Kultur-Chic den Brückenschlag sucht? Doch hinter den Kulissen hat es bereits Workshops gegeben, in denen Teilnehmer beider Städte gemeinsame Showings entwickelten.
Nicht mit dem »Ballet of Difference«, wohl aber als Gast-Choreograf bei der Ruhrtriennale war Siegal zuletzt in NRW präsent. Sein für das Festival entwickelter, dramaturgisch brenzliger Höllentrip über Dantes »Göttliche Komödie« gab allerdings wenig Anlass zu Euphorie über seine Ernennung zum Neu-Kölner. Bessere Werbung war da seine vom Ballett Dortmund einstudierte Choreografie »Unitxt«. Sofern man es grundsätzlich gutheißt, mit Siegal einen der talentiertesten Adepten der William-Forsythe-Schule einzukaufen, deren revolutionierende Kraft auch schon wieder 30 Jahre alt ist. Dafür spricht, dass Siegal mit dieser Prägung eine ganz andere Spitzentanz-Ästhetik garantiert, als die im benachbarten Martin-Schläpfer-Düsseldorf.
Sein super-sexy Erfolgsstück »Unitxt« wird bei dem Kölner Abend gezeigt, ebenso das bereits dort präsentierte »BoD«, das Signaturstück der Kompanie. Zwei Highspeed-Spitzentanz-Attacken, die man nicht vergisst dank auffallender Kostüm-Gags. Beim einen sind an den Trikots der Frauen Haltegriffe angebracht, an denen die Männer sie herumschleudern. Beim anderen tragen alle aufblasbare Kunststoffteile, die sich auf den Körpern blähen wie ein Superman-Umhang oder der gezackte Rücken eines Reptils.
Auch die Uraufführung »Ballet 2.018« soll ein Gadget, also ein Funktionsstück, herausstellen: klobige Sneakers, in denen auf Spitze getanzt wird wie beim Streetdance-Stil Jookin. Der erlangte weltweite Bekanntheit, als 2015 der Streetdancer Lil Buck, begleitet vom Cellisten Yo-Yo Ma, einen sterbenden Sneaker-Schwan auf Spitze zu Grabe tanzte. Damals beklaute die Straße die Balletttradition. Jetzt soll sich umgekehrt die Klassik mit Gossencharme polieren. Denn Tänzer, so ein ironischer Siegal, seien nun mal »expert-shoppers« auf kapitalistischen Märkten. Klingt total zeitgemäß. Gewiss sind sie auch mehr als »expert-simulators« in der Diktatur des Designs – oder?
»Ballett 2.018«: Uraufführung am 22. Februar, Schauspiel Köln, Depot 1.