Auf der Flucht vor Gangstern findet eine Frau Unterschlupf in einem kleinen, abgeschiedenen Dorf namens Dogville, am Fuße der Rocky Mountains. Als Gegenleistung geht sie den Bewohner*innen zur Hand, jätet Unkraut, kümmert sich um die Kinder. Bis die Stimmung kippt und das Dorfleben für die Frau zum Martyrium wird. Der dänische, stets polarisierende Regisseur Lars von Trier drehte »Dogville« 2003 als episches Kammerspiel in einer Art Probebühne-Setting. Kreidestriche deuten die Häuser an, zwischen denen die Figuren sich hin- und herbewegen. Die Stachelbeersträucher stellen wir uns nur vor. Selbst der bellende Hund ist bloß aufgezeichnet. Lars von Trier seziert jede Illusion, formal wie inhaltlich.
Den theaterhaften Stoff brachten schon einige Häuser auf ihre Bühnen, 2014 zum Beispiel das Schauspiel Köln in einer raffinierten filmischen Inszenierung von Bastian Kraft. Als Oper wird »Dogville« jetzt am Essener Aalto-Theater uraufgeführt. Diese Passion der Protagonistin Grace im Film, diese Stimmung, die in den letzten Minuten ins radikal Andere umschwenkt – das »schreit doch nach Oper», meint Komponist Gordon Kampe. 2017 war es noch der damalige Intendant Hein Mulders, der ihn auf »Dogville« ansprach. Eine längere Corona-Verschiebung später ist es jetzt so weit. Unter der Regie von David Hermann und der musikalischen Leitung von Tomáš Netopil findet die Premiere am 11. März in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln statt.
Gordon Kampe, seit 2020 Professor für Komposition in Hamburg, ist ein Ruhrgebietler. In Herne wurde er geboren, an der Folkwang Universität der Künste in Essen hat er studiert und mehrere Jahre gearbeitet. Bei der Ruhrtriennale gab es 2019 seine Musiktheater-Revue »Gefährliche Operette«. Fürs Lustige, für Operetten und Komödien ist Kampe bekannt. Mit »Dogville« komponierte er endlich seinen ersten tragischen Stoff. »Es wurde Zeit für Tragödien«, sagt er.
Drehbuch stark gekürzt
Erzählt wird die Oper aus der Perspektive von Hauptdarstellerin Grace, die Partie übernimmt Lavinia Dames. »Wir mussten die Erzählweise verändern«, erklärt Kampe. Im Film wird nüchtern-distanziert und mit sonorer Stimme aus dem Off berichtet. Aber eine Oper wird gesungen, sie ist nicht sachlich, nie schlicht. Damit die Aufführung in etwa 90 Minuten über die Bühne gehen kann, fokussiert sich der Abend ganz auf Grace und ihr Leiden in diesem Dorf mit den hundsgemeinen Bewohner*innen, die sie furchtbar quälen. Dafür haben der Komponist, der Regisseur und die Dramaturgie das Drehbuch stark gekürzt. »Wir erzählen straight nach vorne«, sagt Kampe. Eher skizzenhaft. Im Accelerando soll es schlaglichtartig durch 18 Szenen gehen.
Kampe will dem Stoff mit dem Medium der Oper nahekommen. Keine Vertonung des Films, in der vor allem Barockmusik zum Einsatz kommt, keine Kopie, keine Hommage. Im Aalto-Theater entsteht ein eigenes Werk aus dem fast archaisch anmutenden Stoff mit seinen großen Themen Schuld, Gnade und Hoffnung.
Premiere: 11. März
Weitere Termine: 15., 23. und 26. März