TEXT: GUIDO FISCHER
Viele nervt er nur. Mit seiner ungetrübten Laune. Mit seinem Dauergrinsen bis über beide Ohren. Sobald er anfängt, sein Publikum mit »I love you« zu herzen, ist das Harmonie-Maß endgültig voll. Aber so ist Al Jarreau eben im Innern seines Wesens. Von Geburt an ein amerikanischer Sonny-Boy, lässt er nichts unversucht, bis die Fans ihm spätestens ab der zweiten Konzert-Minute glückselig aus der Hand fressen. Nachher sollen sie sich besser fühlen. Dafür würde ersogar die Pappnase aufsetzen und Clownsschuhe anziehen.
Der Entertainer als Therapeut fürs Leben. Da schwingt immer noch Jarreaus Vergangenheit mit. Vor seiner Karriere als Jazz-Sänger hatte er Psychologie studiert, um danach als Rehabilitationshelfer geistig und körperlich behinderten Erwachsenen den Weg in den Alltag neu zu ebnen. Das war Anfang der 1960er Jahre. Seitdem ist Jarreau zum gewiss weltweit bekanntesten Jazz-Sänger aufgestiegen.
Sein Händchen und Gespür dafür, wie man auf Menschen zugeht, hat er sich nicht nur als Mr. Smile bewahrt. Mit seiner leicht nasal wirkenden, von Lästerzungen als »knödelig« verspotteten Stimme vollbringt er seit mehr als 30 Jahren wahre Wunder, an denen nur Jazz-Dogmatiker herum nörgeln mögen.
Einerseits hat er es geschafft, Jazz, Pop und Soul in einen gemeinsamen natürlichen Fluss zu bringen, ohne ins Seichte zu geraten. Schon lange vor Bobby McFerrin verblüffte Jarreau als vokales Ein-Mann-Orchester, als er mit seinem Mehr- Oktaven-Organ, vom Sopran bis zum Bass, akrobatische Hoch- bis Tiefseilakte hinlegte, bei denen er sich zischend, gurrend und groovend in eine Posaune, eine Violine oder gar in ein komplettes Drum-Set verwandeln konnte.
Mit seinen Scat- und Beatbox-Künsten machte Jarreau auch Jazz-Klassiker wie »Blue Rondo A La Turk«, »Take Five« oder »Spain« einem neuen Publikum zugänglich. Wenn er nicht gerade mit Paul McCartney, George Benson und Herbie Hancock soulige Jazz-Hits wie »God Bless The Child« und »Everytime You Go Away« veredelte, zeigte er sich äußerst erfolgreich karitativ. Zusammen mit Stevie Wonder, Michael Jackson, Diana Ross und vielen anderen Kollegen nahm er 1985 den Song »We Are The World« auf, um Geld für Äthiopien zu sammeln.
Inzwischen 70 Jahre alt, kann er – wie er zugibt – die hohen Töne nicht mehr ganz so artistisch durch die Luft wirbeln lassen. Der schokoladige Schmelz zergeht indes bei dem mehrfachen Grammy-Gewinner immer noch auf der Zunge, etwa bei den Balladen-Hymnen »We Got By« oder »Moonlighting«. Auch diese beiden Seelentröster müssten auf dem Programm seiner aktuellen Deutschland-Tour stehen. Vorausgesetzt, sein Publikum hat im Vorfeld richtig abgestimmt und aus einer Song-Liste jene Hits ausgewählt, die Jarreau unbedingt singen soll. Diese Form direkter Demokratie ist für den Interpreten auch ein Dankeschön an seine deutschen Anhänger. Denn hier hatte alles angefangen.
1975 gab er im Hamburger »Onkel Pö« als No-Name auf dem europäischen Kontinent fünf Konzerte, zu denen Produzenten und Festival-Veranstalter kamen. Die Abende markierten seinen Durchbruch; es folgten Schallplattenverträge mit großen Labels und Gastspiele bei den Festivals in Montreux und Berlin. Überhaupt ist für ihn jedes Konzert Energie spendend – »als ob ich an eine Tankstelle komme und mal eben wieder auftanke«, so Al Jarreau: »Und ich tanke Super!«
Al Jarreau gastiert am 5. Juli in der Paderhalle Paderborn und am 8. Juli in der Philharmonie Köln.