Sie sei »eine spanische Mutter im italienischen Stil«, sagt ihr Regisseur über Penélope Cruz. Nicht nur ähnelt sie in ihrer Schönheit Sophia Loren, sie hat auch die frauliche Energie, erotische Ausstrahlung, Anmut, mütterliche Wärme und den vitalen Humor, die die Loren in Komödien wie in Dramen verkörpert. Cruz ist Almodóvars Ideal – in sechs seiner Filme und wohl in keinem so sehr wie in dem neuen »Parallele Mütter«, für den sie in Venedig als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde. Sie leuchtet. Rot ist ihre Farbe. So wie sie Almodóvars Signalfarbe und Signet ist.
Almodóvar, Jahrgang 1949, wuchs auf in den fünfziger Jahren mit und zwischen starken Frauen, Kriegsmüttern, Lorca-Müttern. »Alles über meine Mutter« heißt sein meisterhafter Film von 1999, der innerhalb eines mehr als vier Jahrzehnte umfassenden Filmschaffens seine klassische Periode einleitet und ihn zum Repräsentanten von Spaniens Kultur macht.
In »Love Flesh« bringt Isabel (Cruz) in einem Madrider Bus ein Baby zur Welt, eine Freundin beißt die Nabelschnur durch. »Volver« beginnt mit Frauen, die singend auf dem Friedhof ihres Dorfes die Grabstätten putzen und mit ihren Toten Austausch pflegen; »Leid und Herrlichkeit« beginnt mit Frauen, die am Fluss Wäsche waschen. Das sie dabei beobachtende Auge (wie in dem vorletzten stark autobiografisch angelegten, so farbintensiven und doch melancholischen »Leid und Herrlichkeit«) oder manchmal mittels der Kamera nur indirekt anwesende Auge ist das eines Kindes – eines Jungen wie Salvatore Malla oder eben wie Pedro.
Der Geburtsvorgang und die daraus erwachsene Bindung von Mutter und Kind – im Symbiotischen wie auch im notwendig sich trennend Auflösenden – mit all den psychodynamischen Prozessen ist das Urerlebnis des Menschen-Regisseurs Almodóvar.
In »Parallele Mütter« sind es drei an der Zahl: Die 40-jährige Fotografin Janis, von ihrer Mutter benannt nach der revoltierenden Janis Joplin (Cruz), wird schwanger von Arturo, der, auch weil er verheiratet ist, das Kind nicht will; also wird sie es allein aufziehen. Im Krankenhaus liegt sie auf einem Zimmer mit der 17-jährigen Ana (Milena Smit). Der Teenager wurde von einer Horde Männer vergewaltigt und ist mit der ungewollten Schwangerschaft allein gelassen, verängstigt und überfordert. Ihre Mutter (Aitana Sánchez Gijón), eine Schauspielerin, geschieden und von ihrer Tochter getrennt, ist mit ihrem Beruf beschäftigt; als sie sich Ana und dem Enkelkind widmen will, flüchtet diese zu Janis. Die hilft der Jüngeren, die ihre Tochter sein könnte, und engagiert sie als Babysitterin.
Almodóvars weiblicher Kosmos kennt neben der tatkräftigen Solidarität einer Frauenfront, während die Männer versagen, und neben spiritueller Verbindung vor allem die Liebe als Bindekraft, auch die körperliche. »We should all be feminists« steht als Slogan auf dem T-Shirt einer Trans-Frau, die Janis für das Cover eines Frauenmagazins fotografiert. Almodóvar konstruiert neue Familien und Familienbilder, keine durch Macht und Ohnmacht strukturierten und kontaminierten – von »Alles über meine Mutter« bis »Parallele Mütter«.
Parallel nimmt der Film, der das Private als Gewebe familiärer Konflikte so deutlich wie nie zuvor in den politischen Raum hinein platziert und seine im Jahr 2016 spielende Geschichte um biologische und soziale Identität und emotionale Wahlverwandtschaft (die beiden Babys wurden vertauscht) subtil entwickelt, auch eine Spurensuche vor in die unvergangene Vergangenheit Spaniens und seiner Gesellschaft. Der Gerichtsmediziner und forensische Anthropologe Arturo (Israel Elejalde) soll die Gebeine von Janis’ Urgroßvater ausheben, der in seiner kastilischen Heimat vom Franco-Regime ermordet und in einem Massengrab verscharrt wurde. Die Toten geben keine Ruhe.
Auf lange Zeit begraben unter Stillschweigen wurden der Bürgerkrieg und das toxische Franco-Erbe nach dem Ende der Falangisten-Diktatur 1975 und der Umwandlung zur demokratisch verfassten Monarchie – drei Jahre später dreht Almodovar seine erste filmische Folie und wird in der Bohème-»Movida« Madrids zur queeren Ikone. Erst seit zwei Jahrzehnten findet die Selbstkonfrontation mit dem nationalen Trauma statt, bei der die einen (darunter der konservative Ministerpräsident Rajoy) darüber bestimmen wollen, ob, wann und wie die anderen vergessen sollen.
Dass Schmerztherapie und Heilung, Befriedung und Versöhnung der Generationen mit der Annahme der Wahrheit beginnen, inszeniert Almodóvar mit dem für ihn typischen Gestaltungswillen und Chic, seiner unbedingten Direktheit und hier auch mit staunenswerter Bedachtsamkeit als exquisites Lehrstück zwischen Melodram und Analyse, zwischen tiefschwarzem Leid, Lust und Begehren. Antidogmatisch offensiv. Und zeigt dabei auch, dass die besten Absichten, die Lüge im großen Ganzen zu überführen, und fortgesetztes Lügen und Selbstbelügen im Kleinen sich nicht ausschließen. »Volver« heißt übersetzt: zurückkehren – dorthin, wo Spaniens Unglück und Unrecht, der Bruder- und Schwesternmord begannen.
»Parallele Mütter«, Regie: Pedro Almodóvar, Spanien 2021, 120 Min., Start: 10. März