Zahnärztin? Oh je, zum Glück ging das schief, bevor es so weit war. Aus der ursprünglichen Berufsidee – sie fand »das immer toll, diese Instrumente, die Bohrer, die Praxis« – ist nichts geworden. Hanna-Elisabeth Müller wurde Sängerin. Wie richtig die Entscheidung war, zeigt das Eiltempo, mit dem sie die Musikzentren erobert. »Traumbesetzung« lautete das Fazit nach ihrem Auftritt 2014 als Strauss-Sängerin in Salzburg. Für ihre Partie der Zdenka in »Arabella« wurde sie von der Zeitschrift Opernwelt zur Nachwuchskünstlerin des Jahres gekürt; sie sang in München und Dresden, rasch folgten Anfragen von der Met in New York, vom Royal Opera House in London und von der Mailänder Scala.
»Einfach so reingerutscht«, sei sie. In Müllers Familie sucht man Berufsmusiker vergeblich. Findet allenfalls Liebhaber. Sie spielt anfangs ein bisschen Geige, ein bisschen Klavier. Aus Spaß. Nichts Ernstes. Mit elf Jahren erhält sie ihren ersten Gesangsunterricht. Immer noch als »Hobby« – im Chor gesungen und 1998 in Ludwigshafen den Knabensopran in Bernsteins »Mass«. Damals hatte sie noch keine Ahnung vom Kunstlied und der Welt der Oper. Als die Entscheidung näher rückt, singt sie an neun Hochschulen vor. Alle wollten sie mit Kusshand nehmen. Doch Müller (Jahrgang 1985) bleibt in Mannheim, ihrer Geburtsstadt. Das erste Studienjahr wird gleich das härteste: Technik, Technik – und ein bisschen Lied. »Ich dachte, ich käme nie an die Oper.« Im Opernstudio München sammelt sie praktische Erfahrungen, ahnungslos, wie so ein Theater funktioniert. Ängste kennt sie bis heute nicht. Top-Vorbereitung ist alles. So nimmt sie sich den Druck weg.
Dann folgt ein Vorsingen bei Christian Thielemann. Er wollte Strauss von ihr hören, sie wählte eines seiner Lieder – »und er bot mir die Partie in ›Arabella‹ an«. Die Salzburger Aufführungen werden zum Erlebnis neben Weltstars wie Thomas Hampson und Renée Fleming. Einen DVD-Mitschnitt gibt es im Handel. Man erkennt sofort, was für eine Sicherheit Müller ausstrahlt, wie souverän sie sich ins Ensemble einfügt, ihre Stimme führt, Lang-Linien formt, hält, modelliert. Beeindruckend.
Im Februar 2015 war Müller erstmals in Essen zu Gast, in der »Jugendstil«-Reihe der Philharmonie, einer Lied-Matinee, sang Schumanns »Frauenliebe und –leben«, dazu Berg, Poulenc und Richard Strauss. Ihr perfektes Legato ließ staunen und das Publikum Kopf stehen. Müller bindet die Silben ohne Luftschnapper dazwischen; ihre Mischung aus Abdunkelung und hellem Leuchten gelingt bruch- und mühelos; jedes Wort verständlich. Beste Voraussetzungen also, um sich im sensiblen Lied-Fach dauerhaft behaupten zu können. Im Künstler-Gespräch erlebte man Müller ungemein natürlich, offen, unbeschwert und zielstrebig. »Nicht in großen Schritten denken«, sagt sie. Alles würde sie dafür tun, um sich nicht verheizen zu lassen. Jede mögliche neue Rolle gehe sie akribisch durch, mit ihrem Lehrer. Erst danach würde sie das Angebot zu- oder absagen. Hanna-Elisabeth Müller begreift ihren Beruf als Langzeit-Perspektive: »Sängerin – das ist, was ich will.«