Jahrelang hat Anja Niedringhaus von den Krisenherden der Erde berichtet. Dass sie nun zeitgleich in zwei Ausstellungen gewürdigt wird, ist Zufall, aber er zeigt, wie unterschiedlich ein und dasselbe Oeuvre betrachtet werden kann: Im Düsseldorfer Kunstpalast sind ihre Bilder in der Gruppenausstellung »Fotografinnen an der Front« mit Aufnahmen von Gerda Taro, Lee Miller oder Carolyn Cole zu sehen. Doch während die Düsseldorfer Kuratoren ihre Agenturbilder in schwarz-weiß präsentieren und dadurch geradezu musealisieren, sind in Köln 80 großformatige Fotos in Farbe zu sehen – so, wie sie auch fürs Nachrichtengeschäft gedacht waren. Im Rahmen der Internationalen Photoszene Köln zeigt die Journalistin Sonya Winterberg im Kollwitz-Museum zudem auch Porträts und Sportfotos aus Wimbledon oder von den Olympischen Spielen, die die Pulitzer-Preisträgerin aus Höxter neben ihren Kriegseinsätzen machte. Der Ausstellungstitel »Bilderkriegerin« ist dabei keineswegs martialisch gemeint, sondern auf den Mut und die Bedingungslosigkeit bezogen, mit denen Niedringhaus ihre Motive fand.
kultur.west: Frau Winterberg, gibt es so etwas wie einen weiblichen Blick in der Kriegsberichterstattung?
SONYA WINTERBERG: Nein, Anja Niedringhaus hat für sich selbst sogar abgelehnt, explizit Fotografin genannt zu werden. Sie sah sich einfach als Fotograf. Ich denke aber, dass Frauen andere Zugänge als Männer etwa in muslimische Gesellschaften haben, den Frauen näher kommen können, in Küchen blicken, Geburten begleiten – das wäre für Männer natürlich undenkbar. Und ich glaube, dass die Motivation, in den Krieg zu gehen, bei Frauen eine andere ist. Viele Männer haben mir berichtet, dass Kriegsfotografie das nächstbeste sei, um nicht selber als Soldat in den Krieg zu ziehen, aber trotzdem ein männliches Abenteuer zu erleben. Eine gewisse Form von Machismo, der gesellschaftlich in Ordnung gefunden wurde.
kultur.west: Was war Anja Niedringhaus’ Motivation?
WINTERBERG: In den 90er Jahren wollte sie etwas verändern. Ihr Anspruch war, ikonische Bilder etwa vom Balkankrieg zu machen, damit dieser Wahnsinn aufhört. Später hat sie die Dinge eher dokumentieren wollen, damit sie überhaupt gesehen werden. Ihr war immer wichtig, die Menschen in den Vordergrund zu stellen, insbesondere Frauen und Kinder. Was natürlich eine andere Perspektive ist, als nur kämpfende Soldaten zu zeigen.
kultur.west: Es gab einige Frauen an der Front. Warum gilt Anja Niedringhaus in der Szene dennoch als Vorreiterin?
WINTERBERG: Der Krieg auf dem Balkan war der erste nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa. Sie war die einzige Deutsche damals, die dort für eine Nachrichtenagentur fotografiert hat. Ihre Vorgesetzten wollten sie zunächst gar nicht ziehen lassen. Es hieß, eine Frau habe im Krieg nichts zu suchen. Da hat sie ihrem Chef jeden Tag einen Brief geschrieben – bis er sie gehen ließ.
kultur.west: Was hat sie von anderen unterschieden?
WINTERBERG: Henri Cartier-Bresson hat einmal vom »entscheidenen Augenblick« gesprochen, den ein Fotograf treffen müsse. Das hat sie gekonnt: Momente einzufangen, die die Welt in diesem Augenblick bewegt. Da war sie extrem wettbewerbsorientiert. Es ging ihr nicht um Ruhm, sondern darum, dass bestimmte Geschichten publik wurden.
kultur.west: Hat sie Szenen inszeniert?
WINTERBERG: Nein, nie. Anja hat lieber stundenlang an einer Straßenecke gewartet, um ein Graffiti mit einem Passanten davor zu fotografieren, ehe sie selbst eine Person gebeten hätte, dort entlang zu gehen.
kultur.west: Mein Eindruck ist, dass sich ihre Bildsprache im Laufe der Zeit geändert hat. Auf dem Balkan hat sie noch viel schonungsloser fotografiert, ich denke da etwa an die junge Frau, die einen blutüberströmten Mann in Sarajevo auf offener Straße in den Armen hält…
WINTERBERG: Schockierende Fotos werden in der Presse und in Ausstellungen heute immer weniger gezeigt. Der Krieg ist steriler geworden, allein durch Drohnen gibt es weniger Mann-gegen-Mann-Kämpfe. Auch wir haben uns gefragt, was wir den Besuchern zumuten können und was nicht. Wir haben deshalb auch eine Museumszeitung mit schwierigen Bildern gemacht, damit jeder für sich entscheiden kann, ob er sie anschauen möchte oder nicht.
In ihrem Katalog zitieren Sie den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai, der gesagt hat: »Anja ging an Orte, wohin niemand sonst sich wagte.« Was war ihr Selbstverständnis als Fotografin?
WINTERBERG: Sie war schon extrem mutig, aber niemals leichtsinnig. Sie hatte zum Beispiel den Anspruch, die Zivilbevölkerung auch in entlegenen Gebieten zu treffen. Sie hat immer gesagt: »Die können da nicht weg, also muss ich zu ihnen kommen.«
kultur.west: War sie tatsächlich an vorderster Front?
WINTERBERG: Ja, sie hat viel als Embed, in den Truppen eingebettet, gearbeitet. Das hat sie im Irak angefangen und war dann mit ihrer Kollegin Kathy Gannon unter anderem bei der pakistanischen Armee. In unserer Ausstellung zeigen wir zum Beispiel Fotos von einem zwölfstündigen Marsch, den die Frauen zusammen mit den Truppen gemacht haben – zum Teil durch hüfthohen Schnee.
kultur.west: Bei so einem enormen Risiko und solchen Anstrengungen fragt man sich: Gab es tatsächlich etwas, das ihre Bilder bewegt, etwas, das sie verändert haben?
WINTERBERG: Das ist natürlich eine schwierige Frage. Ich habe für meinen Film im vergangenen Herbst in Afghanistan mit einer Parlamentarierin gesprochen, die sie porträtiert hatte und die nach dieser Fotosession von den Taliban entführt worden war – hochschwanger. Sie hat ihr Baby damals verloren und mir erzählt, dass sie immer an Anjas Sätze denken musste: »Es ist wichtig, was du tust. Es ist gut, dass es Frauen wie dich in diesem Parlament gibt.« Sie meinte zu mir, dass sie ohne diese Sätze die Gefangenschaft wohl kaum überlebt hätte.
kultur.west: Vor allem ihre Fotos der US-amerikanischen Streitkräfte sind sehr bekannt geworden. Etwa von George W. Bush beim Truppenbesuch mit riesigem Truthahn.
WINTERBERG: Ja, sie hat durch solche Szenen auch dafür gesorgt, dass die Amerikaner nicht nur als Krieger gesehen werden. Sondern auch als Opfer schwieriger Umstände und einer schwierigen Politik. Zudem ging es ihr nie darum, ihre persönliche Meinung auszudrücken. Da war sie Profi genug. Sie hat weder Zivilisten, noch Politiker oder Soldaten vorgeführt – das zeichnet sie auch ein Stück weit aus. Allerdings hat sie durchaus Menschen in bizarren, sehr amüsanten Situationen gezeigt.
kultur.west: Für viele Bilder ist es eklatant wichtig zu wissen, wen sie zeigen. Auf einem Bild ruft ein Mann Menschen zur Flucht auf, man kann aber seinen Gesichtsausdruck nicht deuten – freut er sich oder ist er verzweifelt? Welche Informationen hat sie ihren Fotos beigegeben? Oder war ihr die Frage gar nicht so wichtig: Wer ist Freund? Wer ist Feind?
WINTERBERG: Natürlich sind bei ihren Fotos, wie in Agenturen üblich, Bildinformationen hinterlegt. Ich glaube aber, sie selbst hat gar nicht in diesen Kategorien gedacht. Auch beim Sichten der Bilder in ihrem Nachlass fragen wir uns daher oft: Wer ist wer? Ihr Anspruch war, Menschen in Ausnahme- und Grenzsituationen zu zeigen und dem Betrachter die Entscheidung zu überlassen, wie er sie für sich einordnet.
Die Ausstellung »Bilderkriegerin« läuft bis 30. Juni 2019 im Kölner Käthe Kollwitz Museum (Katalog im Wienand Verlag, 144 Seiten, 24,80 Euro)
Die Ausstellung »Fotografinnen an der Front« zeigt 140 Arbeiten unter anderem von Anja Niedringhaus, Lee Miller, Carolyn Cole und Gerda Taro und läuft bis 10. Juni 2019 im Düsseldorfer Kunstpalast (Katalog bei Prestel, 224 Seiten, 29,80 Euro)