// Nimmt man alles in allem, versammelt der Bildband »1/8 sec.« die Gesichter, über die in Deutschland geredet wird oder die etwas zu sagen haben (was nicht immer dasselbe ist): im politischen Bonn und Berlin, auf der Musik- und Showbühne, der Leinwand, dem Bildschirm, im Theater, im Sportstadion oder in den Talkshows der Republik. Jim Rakete ist der Chronist von Geist und Macht, der Gesellschaft und Prominenz, aber das Beiwort »offiziell« sollte man dabei vermeiden, denn die Bilder taugen nicht zur Repräsentation. Wohl sind die Porträts repräsentativ für den Menschen, den Jim Raketes Kamera erfasst, aber nicht für einen sozialen Raum, den die Personen sich erobert haben oder gern erobern würden.
»Als Angehöriger einer Kultur habe ich teil an den Figuren, an den Mienen, an den Gesten, an den äußeren Formen, an den Handlungen.« So Roland Barthes in seinem Essay »Die helle Kammer« von 1980. Die Begegnung mit der »Vertrauten Fremde« und der Ikonografie von Bedeutsamkeit, wie sie derzeit die Ludwig Galerie Schloss Oberhausen in etwa 130 Motiven von Jim Rakete ausstellt, fordert zur Reflexion darüber auf, was es mit medial vermittelter Bekanntschaft und Bekanntheit auf sich hat. Das gilt für den fotografierenden Künstler wie für uns Betrachter.
Das Schwarzweiß der vorrangig zwischen 2005 und 2007 aufgenommenen Fotos stiftet den sinnlichen und Sinn setzenden Akzent. Es entsteht eine strenge, oft herbe, zugleich sensible und sensitive Atmosphäre. Die Intimität des Augenblicks ist beinahe immer spürbar. Die Begegnung zwischen Fotograf und Fotografiertem enthüllt im besten Fall das Wesen, das Wesentliche. Die Vokabel, die einem als erstes durch den Kopf geht, heißt: durchdringend. Gesichter öffnen sich auf bestürzende Weise, dass ihnen manchmal ein Filter zur Schonung zustünde. Überwindbare Scheu, Selbstpreisgabe und Selbstdarstellung treffen sich.
Die Frauen bekommen etwas mehr Spielraum, mehr Freiheit, sich zu verkörpern, ob Anne Will als Dompteuse im TV-Zirkus, Bibiana Beglau als Waldnymphe oder Iris Berben als verlorenes Schneewittchen im Treppenhaus. Man sieht, dass Jim Rakete Frauen mag – und dass er die Rolle der Männer versteht.
Erstaunlich, wie unsere allgemeine Vorstellung von einer Person, ihre Eigenschaftlichkeit und Essenz sich hier im Bild konkretisiert, festigt, erhellt und gewissermaßen bewahrheitet. Das schlägt zum Guten wie Schlechten aus, je nach Veranlagung. Die einen setzen ihre Selbst-Inszenierung fort, wie Martin Walser am Ufer des Bodensees und Enzensberger als salopper Intellektueller vor seiner Bibliothekswand, wie Joschka Fischer vor knorriger Eiche und Gerhard Schröder mit versteinerter Miene, als käme er für das Mount-Rushmore-Monument in Betracht.. So wirkt Til Schweiger noch blasierter, Sebastian Koch noch mehr als Poseur, Meret Becker noch exzentrischer, Moritz Bleibtreu noch Attitüden-verhafteter, Heino Ferch noch mehr wie Bruce Willis, Mario Adorf gepanzert im Image des Grandseigneurs.
Andere erscheinen unverputzt: Helmut Schmidt, Marion Gräfin Dönhoff, Siegfried Wischnewski im Greisen-Profil eines klassischen römischen Senators, Peter Stein als weiser Chinese, Barbara Sukowa im Faltenwurf ihrer Haut, Loriot als die Gelassenheit selbst, Henry Hübchen wie der östliche Ausläufer der West Side Story, Immendorff weich und wund an einer Nelke riechend. In den Augen Götz Georges liegt in aller Klarheit die Gewissheit, dass sein Abbild ihm nicht die Seele raubt, sondern – im Gegenteil – diese offen legen könnte. Und Otto Sander ist einfach Otto Sander – und dies zu zeigen allein schon eine Kunst für sich.
Wer Jim Raketes Fotografien betrachtet, wird nicht mehr behaupten, zu wissen, wer diese Leute sind, sondern wird ihnen mit mehr Vorsicht, gelegentlich auch Nachsicht begegnen. //
Bis 10. Mai 2009, Ludwig Galerie Schloss Oberhausen, www.ludwiggalerie.de