Die Maske des Clowns lässt Eindeutiges oszillieren. Wenn Differenz unter der Schminke verwischt, werden die Karten neu gemischt. Tilmann Köhler und sein reines Männerensemble trumpfen mit dem Shakespeare-Drama in Düsseldorf auf – und machen das Spiel. Fabulös finster. Ihre Manege im Schauspiel-Central ist ein leerer Holzkasten mit kreisrundem Loch. Acht agile Anarchisten des Gelächters treiben es darin radikal bunt: mit roten Nasen auf weißer Haut, mit dunkel geränderten Augen unter neongrellen Perücken und Glatzen, in karierten oder gestreiften Kleidern und Röcken. Ihr grinsender Narren-Look demoliert die Hack- und Rangordnung.
Der Clown ist Fremdkörper, sozial, biologisch, historisch unbestimmbar. Als Spielernatur geht er durch Zeiten und Geschlechter. Er kann männlich und weiblich sein, Protagonist und Antagonist, Gott und Teufel, Schelm und Terrorist, Raupe und Schmetterling, These und Antithese. Der Clown repräsentiert die Gegenwelt zu Norm und Gesetz. Er steht außerhalb und allein. Ein Verlorener Junge– wie Martius Coriolanus, Patrizier, Feldherr, Triumphator, Rebell gegen seine Heimat Rom.
Horror-Picture-Show
Pathosformeln zerbröseln bei ihrem Kehraus: Bosheit, die schiefe Fratze zieht; die Krücke des Alters, Tränen aus der Wasserspritze, das heulende Elend der Grimasse; rote Luftballons, die als Knallkörper im Krieg zerplatzen; Pritschen und Gummiknüppel, die aufs Haupt schlagen; Meute, die sich grölend in die Fankurve legt; politische Rede, die im Schaumgummi absackt. Die derb redensartliche, aggressiv hervorspringende Übersetzung tut das ihre. So klar das Stück die Klassen separiert, so ununterscheidbar sind hier Hoch und Niedrig dem Munde, der Erscheinung, dem Wesen nach. Demokratisierung als rüder Jokus und Horror-Picture-Show.
Coriolan ist der Volksfeind, der den murrenden, wankelmütigen Plebejern, dem „Mob und Kroppzeug“, das Brot vorenthält und sie mit seiner Arroganz mehr noch als mit den ihnen verweigerten Grundrechten demütigt. Die Wutbürger empören sich, verhindern sein Konsulat, stürzen und verbannen ihn, trotz seines Sieges über die Volsker, als Verräter. In der „Kanaille“ und ihren hetzenden Tribunen Brutus und Sicinius erkennen wir alternative Parteiungen mit drei Buchstaben. Wie kann jemand – gar der einzelne Elitäre, der auf dem Forum um des gemeinen Volkes Gunst nicht buhlt – eine Misstrauensgesellschaft für sich gewinnen, wie sich in ihr behaupten, sich in ihr wandeln, wie sie überwinden?
Der Vertriebene tritt in den Dienst des Todfeindes Aufidius und der Volsker, um mit ihnen Rom zu vernichten. Der väterliche Freund Menenius, seine Schmerzensmutter, die Gattin, das Söhnchen flehen Coriolan um Gnade an. Das hoheitsvoll goldene Idol, zu dem er wurde, schmilzt im Mitgefühl. Er schenkt Frieden. Ihn kostet es das Leben. Sein „Na, dann“ hat sich gehärtet am Realismus.
André Kaczmarczyk – viertelstarker Bengel von keckem Vorwitz – wattiert sich als Muskelmann. In dem komischen Männerdings namens Zweikampf schlägt er sich possenhaft mit der Waffe bunter Bänder, sich messend am geliebten Hassgegner Aufidius (Jonas Friedrich Leonhardi als rüder Punk-Irokese). Kein eherner Heros tritt auf, sondern ein Invalide hinkt in seine Konfettiparade. Dennoch flammt seine Rede, die sich gegen das affektiv Populistische richtet. All der Kinderkram enthält ein Geheimnis: das Paradies dieses Coriolan. Kaczmarczyk ist das konditionierte Kind, dem sein Nimmerland verloren ging, das erlöst sein will von den unlösbaren Banden der Herkunft und der Virilität. Der Verstoßene, entblößt seines Kostüms und Rollenzwangs und nun vielleicht frei, schreibt Shakespeares Sehnsuchtsorte an die Wand: Illyrien, Arden, Belmont – und das gegnerische Antium. Das also wäre die Utopie.
Köhlers Inszenierung stellt, ohne dem Gegenwärtigem nachzueifern, Fragen, die im puren Kunstraum dringlicher nachhallen würden, wären sie nicht von der Monotonie der Wiederholung geschwächt – ein Clown ist ein Clown ist ein Clown. Die Ambivalenz der Macht in ihrer Kurvenbewegung splittert auf der kahlen Bühne zu Facetten, die sich nicht zu banaler Aussage verkleben. Jedoch, die Form übermalt den Inhalt. Erst die letzte Stunde, wenn die Masken weichen und die Trauer steigt, ändert das.
Coriolan – Essenz des Individuellen – sucht den Platz, an dem seine junge Seele sich ausbreiten kann. Für einen rührend tastenden Moment findet er ihn in der zärtlichen Begegnung mit Aufidius, wenn sie fast liebende Vermählung und den Identitätstauch vollziehen. Unheilbar krank daran, erwachsen zu sein, bleibt Coriolan im Dunkelgefunkel seiner Einsamkeit. Das kleine Kind, das Menschlein Martius – Stimme und Alter Ego seines Vaters – erhält bei Köhler das letzte Wort für Vernunft und Staatsraison. Ein Appell.
Wieder am 27. April, 11. und 23. Mai, 11. Juni, Schauspielhaus-Central