Nur ein Tag lag zwischen den Uraufführungen: Am 2. Januar 1843 wurde in Dresden »Der fliegende Holländer« aus der Taufe gehoben, tags darauf ging im Pariser Théâtre Italien der Vorhang für »Don Pasquale« hoch. Aus unserer Sicht liegt mehr als eine Epoche zwischen Donizettis später Buffo-Oper und Wagners düsterem Frühwerk; tatsächlich war der Opernraum damals so klein wie heute und künstlerische Parallelwelten der Normalfall. Wagner komponierte seinen »Holländer« sogar in Paris, angeregt durch die »Schabelewopski«-Memoiren des Wahlparisers Henri Heine, der sich wiederum despektierlich über Donizetti äußerte. Im Standard-Repertoire der Musiktheater halten sich beide Werke. Wuppertal setzt auf solides Theaterhandwerk. Jürgen Liers Bühne ist ein nüchternes Sperrholzkonstrukt, das den verwinkelten Lebensraum des reichen, angejahrten Pasquale mit unzähligen Schubladen ausstattet. Der Geizkragen will seinen Neffen Ernesto, der im ersten Stock nichts als Matratze und Kofferradio sein eigen nennt, reich verheiraten. Der aber liebt die arme Witwe Norina. Die zu erwartende Intrigenhandlung in der Tradition der Commedia dell’Arte kommt durch die Schlüsselfigur des Doktor Malatesta in Gang, der Don Pasquale einredet, selbst zu freien, und ihm Norina als Braut unterschiebt. Die Scheinhochzeit findet statt, doch macht Norina alsbald dem Alten das Leben ungemütlich. Endlich verzichtet er und das junge Glück hat freie Bahn.
Mit Sinn für Tempo und Timing stellt die Regisseurin Marie Robert das auf die Bühne, ohne die Komik an die Klamotte zu verhökern. Die galligen Momente dieser Buffa, die oft auf der Kippe zur Seria steht (und damit eben auch einen Endpunkt der Gattung markiert, knapp nach dem »Holländer «), blendet sie nicht aus, akzentuiert sie aber auch nicht. Elektrisierend lebendig und gefährlich beschleunigt dagegen tönt es aus dem Graben. Evan Christ befeuert schneidig die schlank und moussierend aufspielenden Sinfoniker, die Sänger werden von Dariusz Machejs glänzendem Don Pasquale angeführt, Elena Finks Norina perlt lieblich, Markus Schäfers Nemorino singt kultiviert, doch zaghaft.
Letzteres geht bei Donizetti noch durch, verbietet sich indes bei Wagner. So will es die Tradition, die auch des Meisters Frühwerke stets vom späten Schaffen her denkt. Marcus R. Bosch, aufstrebender GMD in Aachen, sieht das anders. Er stellt den frühen Wagner musikalisch in die Tradition, die den jungen Kapellmeister umgab: Carl-Maria von Weber, die deutsche Spieloper Lortzings, auch Bellini und der künftig denunzierte Meyerbeer. Nicht zuletzt diese entschlackte Lesart macht Wagner für die mittleren Dimensionen des Hauses kompatibel. Auch die Regie straft erneut das Etikett »Provinz« Lügen. Schon im Frühjahr war Aachen nach langer Wagner-Abstinenz mit einem überzeugenden »Lohengrin« am Brandauer-Desaster in Köln vorbei gezogen. Bosch hält einen schlanken, federnden, niemals breit lärmenden Wagner-Stil konsequent durch und ist den exzellenten Sängern ein umsichtiger Begleiter.
Dieser »Holländer« ist kein Meerstück mit Schiffsmodellen. Alexander Müller-Elmau (Regie und Bühne) zeigt, psychoanalytisch grundiert, eine dunkelt gekachelte Waschkaue, in der ein riesiges Fenster, das wiederholt zum Spiegel wird, mit fahl grünlichem Licht die Nacht noch dunkler erscheinen lässt. Die Seemannstochter Senta (Irina Popova) – Anstaltshemdchen, bebrillt, zausiges Haar – hantiert neben einem frischen Grabhügel verstört mit Puppen: traumatisierte Außenseiterin. Vater Daland (Krzysztof Borysiewic), ein Brutalo im Unterhemd mit Tattoos und wilhelminischem Rauschebart, steht auf Frischfleisch. Ähnlich grobschlächtig sind seine Männer; die Spinnerinnen tragen blonden Haarkranz, Dirndlmieder und Fleischerschürze (Kostüme: Julia Kaschlinski). Sentas Schwärmen für den Holländer (Woong-Jo Choi) deutet sich aus als pathologische Fixierung der missbrauchten, unerwachsenen gebliebenen Senta. Wagners Text stützt dies, indem er Senta als ferngesteuert zu erkennen gibt: »Ich bin ein Kind und weiß nicht, was ich singe«. In Aachen hingegen weiß man, was man tut. REM