In diesem Monat feiert das Kölner Musikmagazin Spex sein 25-jähriges Bestehen mit einer Sonderausgabe. Das Blatt galt lange Zeit als einflussreichstes und intellektuellstes, manchmal auch einfach nur unlesbares deutsches Musikorgan; heute muss es sich den Markt für anspruchsvolle Popkritik mit diversen Konkurrenztiteln teilen. Ein Gespräch mit dem ehemaligen leitenden Spex-Redakteur Christoph Gurk über Mythos, Geschichte und Gegenwart des Magazins – und über die persönlichen Traumata, das es bei vielen ehemaligen Machern hinterlassen hat. Der Interviewer ist in diesem Fall nicht ganz neutral: Dirk Peitz schreibt seit 1998 als Autor für Spex.
K.WEST: Wie kommt es eigentlich, dass Spex ein Magazin ist, das bis heute außerordentliche Emotionen freizusetzen imstande ist? Und zwar nicht nur auf seiner Leserbriefseite, sondern auch unter den Machern, sogar nachträglich: Es war gar nicht so einfach, einen ehemaligen Redakteur zu finden, der mit uns über Spex reden wollte.
GURK: Es gibt wohl tatsächlich niemanden, der dort als Redakteur gearbeitet hat, der nicht sein Bündel an Kränkungen und Verletzungen mit sich herumtrüge, mich inbegriffen. Wobei ich für die heutige Generation nicht sprechen kann, ich war von 1993 bis 1998 Redakteur. Es mag heute nicht mehr vorstellbar sein, aber in den 80er und 90er Jahren war Spex ein Blatt, dessen Mitarbeiter in dem Bewusstsein tätig waren, irgendeine Art von kultureller Führerschaft inne zu haben. Und wie es bei jeder Form von selbstorganisierten linken Projekten vorkommt, gab es auch bei Spex einen anhaltenden Prozess gegenseitiger Abgrenzung und etwas latent Sektiererisches. Die Kränkungen kamen in diesem Fall sicher auch dadurch zustande, dass eigentlich alle Leute, die dort mal gearbeitet haben, nie das Gefühl hatten, für ihren hohen seelischen, geistigen, körperlichen Einsatz je angemessen entlohnt worden zu sein.
K.WEST: Hatte das etwas mit den spezifischen Strukturen zu tun – eine vergleichbare Geschichte der persönlichen Enttäuschungen hat in früheren Jahren ja auch die taz geprägt.
GURK: Die Spex hat sich der Selbsttäuschung hingegeben oder es zumindest nach außen so verkauft, als Verlag und Redaktion irgendwie demokratisch strukturiert zu sein. Natürlich war das Gegenteil der Fall, es gab es unausgesprochene Hierarchien. Nach meinem Abschied war ich regelrecht froh, in Kulturbetrieben zu arbeiten, wo es eine klare Hackordnung und Arbeitsteilung gab.
K.WEST: Für die Inhalte und Schreibweisen der Spex hat sich gerade während ihrer Zeit bei dem Magazin etwas fundamental geändert – in den 90er Jahren ist Popmusik erstmals von den Feuilletons ernsthaft besprochen worden. War das auch ein Erfolg der Spex, wenn auch ein existenzgefährdender, hat sich die Spex also beinahe zu Tode gesiegt?
GURK: In gewisser Weise ja. In den 90er Jahren gab es zum ersten Mal eine Generation junger Autoren, die mit der Spex aufgewachsen waren und dann in die Feuilletons drängten. Das machte es der Spex natürlich schwer, eine gewisse Meinungsführerschaft weiter zu behaupten.
K.WEST: In der gleichen Zeit gab es diverse Magazin-Neugründungen, die sich mit ähnlichen Mitteln und der gleichen Musik wie Spex befassten. Die Popmusik wiederum differenzierte sich in immer kleinere Subszenen auf, für die dann Spezialmagazine wie de:bug oder Groove entstanden. War der Bedeutungsverlust der Spex als Generalistenmagazin da vorprogrammiert?
GURK: Gerade die Nischenzeitschriften haben die Auflage von Spex, die weiter den Universalanspruch hatte und hat, das Partikulare in der Summe »Popkultur« zu verstehen, nach unten getrieben – nicht dramatisch, aber Stück für Stück. Dieser Prozess setzte schon Ende der 80er mit der Gründung von Zillo ein, das als Goth-Magazin bereits der Spex einen erheblichen Leseranteil streitig machte. Und das setzte sich mit jeder Etablierung neuer Musikstile in den 90ern fort, bei Techno, HipHop…
K.WEST: Sie galten als einer derjenigen, die Spex einerseits in der veränderten politischen Situation nach der Wiedervereinigung stärker politisieren und gleichzeitig von der reinen Musikzeitschrift zu einem Kulturmagazin umbauen wollten. War das auch eine logische Konsequenz aus der neuen Magazinkonkurrenzsituation?
GURK: Das ergab sich sowohl daraus als auch aus den Veränderungen der Zeit. Die Idee war, ein populäreres Magazin zu machen, das die jungen Hipster aus dem akademischen Umfeld mit Fans der Independent-Rock-Musik und Clubkultur zusammenführt. Heute wäre dieses Konzept vermutlich wesentlich tragfähiger als damals. In Berlin und anderen Großstädten gibt es jetzt eine relativ große Szene, die sich gern mit Theorie befasst und andererseits mit Musik zu tun hat. Es gab damals in der Redaktion zwei Strömungen, verkürzt gesagt den Pop-Flügel und den Cultural-Studies-Flügel. Ende der 90er, kurz vor dem Verkauf der Spex an einen Verlag, kam es zur Auseinandersetzung. Ich bin ausgestiegen, als meine Fraktion eigentlich gewonnen hatte – und gleichzeitig feststellen musste, dass sich ein solches Konzept auch deshalb ökonomisch nicht tragen würde, weil nur aus dem Musikbereich genug Anzeigen kamen.
K.WEST: Nach dem Verkauf hat sich die zum Teil neuformierte Redaktion dann entschlossen, Spex wieder in erster Linie als Musikmagazin zu verstehen und nur mit einem recht kleinen Kulturteil auszustatten.
GURK: Wirtschaftlich mag das in der Situation die richtige Entscheidung gewesen sein. Aber konzeptuell war das für mich ein Rückschritt. Vor allem in den ersten Jahren hat für meinen Geschmack auch die Schreibkultur stark gelitten. Durch die Einführung einer Gratis-CD, auch wenn sie zur Steigerung der Auflage beitrug, wurde die ohnehin problematische Entwicklung weiter verstärkt, dass die Musikindustrie sogar bei der Spex so etwas wie Kritik im emphatischen Sinne umgehen konnte. Bei einer Gratis-CD kommt die Musik sozusagen gleich ohne Umwege, ohne Vermittlung, zum Kunden. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu anderen Kultursparten wie etwa dem Theater oder der bildenden Kunst, wo der Wertbildungsprozess eines Kunstwerks immer noch an die Kritik gebunden ist.
K.WEST: Zugleich hat in dieser Zeit bei der Spex einer ihrer vielen Generationswechsel stattgefunden – der dann eher subjektivistische als theoriegeladene Schreibstile hervorgebracht hat, was dem Magazin von Altlesern viel Kritik eintrug. Ist das nicht auch Ausdruck einer gewissen Befreiung vom einstigen Spex-Übervater, dem prominentesten deutschen Poptheoretiker Diedrich Diederichsen?
GURK: Es gab früher durchaus immer wieder Artikel, die am Rande dessen waren, was man gemeinhin Lesbarkeit nennt. Gleichzeitig habe ich mich immer dagegen gewehrt, wenn Leute ankamen und sagten, das Blatt sei doch prinzipiell unlesbar. Ich habe in meiner Zeit Texte jedenfalls immer so zu redigieren versucht, zur Not auch unter Protest der Autoren, dass man sie einigermaßen voraussetzungslos nachvollziehen konnte, wenn man es wirklich wollte.
K.WEST: Aber die geringere Theorielastigkeit heutzutage würden sie auch als Ausdruck eines früheren Generationenkonflikts in Spex begreifen?
GURK: Leider hat es bei uns tatsächlich die Tendenz gegeben, Leute, die eine, zwei oder drei Pop-Generationen jünger sind, mit einer gewissen Herblassung zu behandeln. Man hat ein bisschen die Nase gerümpft, wenn diese Leute sich über Dinge artikulierten, die man vor ihnen selber schon artikuliert hatte. Das hat tatsächlich zu einem Generationskonflikt geführt, den die alte Spex-Redaktion und ihre Herausgeber irgendwann nicht mehr überbrücken konnten. Aber vielleicht ist das nun mal so, wenn man älter wird: Manches im Pop kommt einem dann doch irgendwie bekannt vor. Popmusik aber kann gar nicht nur Neuigkeiten produzieren. In ganz vielen Genres entsteht das Beste daraus, dass Musiker Erfahrungen, die andere schon vor ihnen gemacht haben, in einem anderen kulturellen Rahmen neu interpretieren. Gerade heute.
K.WEST: Wie blicken sie heute, da sie mittlerweile Dramaturg an der Volksbühne in Berlin sind, auf ihr ehemaliges Blatt?
GURK: Ich finde, dass Spex derzeit wieder in einem ganz guten Zustand ist. Als Kaufentscheidungshilfe für Platten ist sie einigermaßen zuverlässig. Sogar der Kulturteil hat ja wieder etwas zugelegt. Von daher würde ich diese Zeitschrift fast jedem anderen vergleichbaren Objekt vorziehen – auch wenn ich sie selber nicht mehr so intensiv lese wie früher.