TEXT: ULRICH DEUTER
Das Gewaltige reizt den Menschen, es zu besteigen, zu durchqueren oder sonst wie zu bezwingen. Und so hat auch Europas größter Scheibengasbehälter in Oberhausen in den 20 Jahren seiner postindustriellen Existenz zahlreiche Versuche erlebt, seines unfasslichen Innenraumes Herr zu werden: Theater wurde darin gespielt, technikhistorische Ausstellungen wurden darin gezeigt, schon mal hing ein 25 Meter messender Mond in der Dose mit ihren 347.000 Kubikmetern Volumen.
Jetzt steckt ein Luftkissen drin: Christos »Big Air Package«. Nach »The Wall«, der 1999 die Riesentonne 26 Meter hoch durchschneidenden Mauer aus 13.000 Ölfässern, bespielt Chisto damit zum zweiten Mal (und diesmal, nach Jeanne-Claudes Tod 2009, allein) Deutschland berühmtesten Gasometer – markiert, definiert, verändert dessen Raum. Wie meistens bei Christos und Jeanne-Claudes Objekten ist auch jetzt die Wirkung schwer zu beschreiben, so sehr sprengt sie alltägliche Dimensionen. Die Konstruktion hingegen ist im Prinzip einfach: Aus dickem, dennoch leicht durchscheinendem weißen Stoff wurde eine Art Wursthülle genäht (20 Tage nahm diese Arbeit im Gasometer selbst in Anspruch), der schlaffe Hohlkörper wurde in die Höhe gezogen, dicht verschlossen und dann mit einem leichten Luftüberdruck befüllt, so dass das Air Package nun von selbst in der Gasometer-Tonne steht, den (oberhalb der »Scheibe«) 113 Meter hohen und diagonal 68 Meter messenden Rundraum beinah ganz ausfüllend.
Durch eine Drehtür gelangt der Besucher ins Innere des Luftkissens, steigt ein paar Stufen hinauf und wird in einen gigantischen Weißraum entlassen: so ähnlich, aber auch nicht befremdlicher, als befände er sich in einer völlig verschneiten Landschaft. Die Höhe dieses von außen bestrahlten und somit lichtdurchfluteten Zeltes wirkt trotz ihrer 90 Meter überraschend niedrig, nach einiger Zeit stellt sich gar eine gewisse Gemütlichkeit ein, die in den wärmeren Monaten mit Sicherheit die Besucher (nur je maximal 250 dürfen hinein) zum Hinlagern verleiten wird.
Christo einen Verpackungskünstler zu nennen ist ein Etikett, das dem 1935 in Bulgarien als Christo Javacheff geborenen Künstler nur unzureichend gerecht wird – das Stapeln von Tonnen und das Aufblasen großer Kissen gehören wie das Umkleiden und Verhüllen zu seinem Repertoire; zu sehr auch geht und ging es ihm und seinem Liebeszwilling Jeanne-Claude (beide wurden am selben Tag geboren) um das Sichtbarmachen durch Verbergen, um das Spiel mit der Ungleichzeitigkeit von Außen und Innen eines Raumes. So bietet das »Big Air Package«, umrundet man es von draußen, einen völlig anderen Eindruck. Erkennt man den Innenraum als eine leicht gestreckte Kugel, so stellt sich die äußere Form als ein Zylinder dar. Fühlt man sich innen wie in einer Wolke, steht man außen einer Art Riesenengerling gegenüber, dem Korpus eines gliederlosen Michelin-Männchens. Anders gesagt: Berieselt den Besucher innen eine gewisse Erhabenheit, so ernüchtert ihn außen eine gewisse Ironie. Und noch etwas: Dadurch, dass das weiße Package den gigantischen schwarzen Hohlriesen fast ganz ausfüllt, wird vor allem dessen bislang unfassbare Höhe auf einmal fasslich. Und verliert damit ihr Geheimnis.
Christo und Jeanne-Claude haben in Dimension und Wirkung unvergleichliche Kunstwerke hinterlassen (und nicht hinterlassen, denn alle waren stets vergänglich): die sandfarben verhüllte Brücke Pont Neuf, die wie ein Riesenmärchenlebewesen über der Seine schwebte; die Stoffbahn des »Running Fence«, der über 40 Kilometer hin den Wind auf den Hügeln Kaliforniens sichtbar werden ließ. Diese und viele andere Installationen des Künstlerpaares aus 50 Jahren sind in Filmen und großformatigen Fotos im Erdgeschoss des Gasometers anzusehen, nachzuerleben. Und machen ungewollt deutlich, dass »Big Air Package« Christos größtes Werk nicht ist.
Bis 30. Dezember 2013. Entwurfszeichnungen zu »Big Air Package« in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen. www.gasometer.de + www.christojeanneclaude.net